Montag, 3. Oktober 2022

Das Fragen nach dem Zölibat

»Ist das heute im Klerus - unverhohlen oder im geheimen - umsichgreifende Verlangen nach der Ehe ein Zeichen des Glaubens, jenes Glaubens, der konkret und ernsthaft, als "Ärgernis" und in "Torheit" das wirkliche Leben an die Hoffnung des Glaubens wagt? Oder ist es ein Symptom der Glaubensschwäche, eines Glaubens, der auf jeden Fall denkt: "Was man hat, das hat man"? Ist es ein Glaube, den man zwar noch als ideologischen Überbau und Zusatz - und das aus Tradition - hinnimmt, der aber ja sich nicht anmaßen darf, das Leben selbst radikal umzubauen und von Grund auf zu revolutionieren, jenes Leben, so wie es auch ohne die Hoffnung des Glaubens sonst geführt wird?«


So fragte Karl Rahner 1967 (Der Zölibat des Weltpriesters im heutigen Gespräch. Ein offener Brief, in: Geist und Leben; wieder abgedruckt in "Knechte Christi"). Ich habe (wie Rahner damals) keinen Grund zu der Annahme, die Infragestellung des Zölibats geschähe aus einem tiefen Glauben heraus. Dort wo sie geschieht, ist der Bankrott des Glaubens und der Glaubenspraxis das stets gleichbleibende Charakteristikum. Später hat Rahner seine Meinung, wie in vielen Bereichen, geändert, aber 1967 war er noch emphatisch und klar: 

»Ich wünsche und erwarte nicht, daß die Kirche für unsere abendländischen Räume ihr "Zölibatsgesetz" ändert [...] ich hoffe, daß die Kirche den heiligen Mut behält, Priestern auch im Weltklerus den Zölibat zuzumuten.«


In den Diskussionen über die immer gleichen Themen "in Kirche" ist es wichtig, die eigene Wahrnehmung zu schulen. Ein wichtiger Punkt ist die Formulierung von Fragen: Wie wird der in Diskussion stehende Gegenstand befragt? Eine schöne Lektion dazu erteilte bereits vor bald 200 Jahren Johann Adam Möhler im Blick auf die auch damals schwelende Diskussion um die Abschaffung des Zölibats der katholischen Kleriker. Möhler (Vom Geist des Zölibats, Paderborn 1992, 76):

»Der allgemeinste und überall wiederkehrende Einwurf gegen den Zölibat der katholischen Priester wird aus ihm als einem Zwangsgebot abgeleitet, das die härteste Beschränkung der persönlichen Freiheit verhänge. Daher wird gewöhnlich die für unauflöslich gehaltene Frage gestellt: Wie kann sich die Kirche berechtigt glauben, so viele Männer, einen ganzen Stand zu zwingen, der Ehe zu entsagen? Göttliche und menschliche Rechte streiten gegen sie. Vor allem leugne ich [d.i. Möhler], daß die Frage die rechte Fassung hat und verlange, daß sie vielmehr in dieser Form aufgeworfen werde: Hat die Kirche das Recht, nur jenen die priesterliche Weihe zu erteilen, deren Geist mit der höchsten religiösen Weihe schon gesalbt ist, in denen sich die reinste und schönste Blüte gottseligen Lebens entfaltet, die ganz und ungeteilt dem Herrn leben, wie der Apostel sich ausdrückt, oder die, wenn wir es in einem Worte mit demselben Apostel bezeichnen wollen, die Gabe der Jungfräulichkeit erhalten haben?«


Die erste Frageform ist für Christen eigentlich unzulässig, weil sie losgelöst von dem gestellt ist, was Christen glauben: Kein Bezug zu Christus, zur Liturgie, zur Hoffnung auf das ewige Leben etc... nichts. Rein soziologisch, psychologisch, weltlich. Und das müsste eigentlich klar sein: Eine Anfrage an eine spezifische christliche Lebensweise ohne Bezug zum christlichen Glauben beantworten zu wollen/sollen, ist Unsinn.

Nein, die Frage ist nur aus dem Glauben zu beantworten, aber dafür muss sie erst einmal anders gestellt werden! Genau auf dieser Linie fragte Rahner (an selber Stelle, 1967): 

»Warum soll die lateinische Kirche nicht bloß jenen ihr Amtspriestertum geben dürfen, die ihr sagen, sie hätten diese Berufung zum Zölibat vernommen? [...] Warum sollte die Kirche also nicht auch in Zukunft Priester gerade aus denen wählen, die sich mit Gottes Gnade trotz ihrer Schwachheit, in der sich Gottes Gnade mächtig erweist, zum Zölibat entschließen und als solche die Weihe empfangen? Die bergende Kraft, aus der heraus der Zölibat gelebt werden kann und muß, und das "Motiv", das für die Kirche selbst für dieses "Gesetz" im Vordergrund steht, müssen nicht identisch sein, obwohl beides nicht getrennt werden darf. Und so meine ich: Die Kirche tut recht daran, wenn sie auch den Zölibat will, damit wir nicht zu Beamten eines rituellen Betriebs degenerieren, sondern durch unser Leben bezeugen, wovon wir reden und was wir kultisch verrichten.«


Die Art und Weise des Fragens offenbart also allzu oft schon, wo der Fragende steht (im Glauben oder außerhalb davon) und was er als Antwort hören möchte. Natürlich kann es sein, dass eine tendenziös klingende Frage auch einfach darauf zurückzuführen ist, dass der Fragende schlicht so uninformiert und unreflektiert in der Sache ist, dass er nicht weiß, wie er danach zu fragen hat. Allerdings haben wir heutzutage (?) das Problem, dass gerade die Uninformierten die lautesten Meinungen zu haben pflegen, also gibt es hier eine großflächige Überschneidung.

Ob die Frage nun bewusst tendenziös ist - also die Absicht des Fragenden offenlegend - oder auf Uninformiertheit beruht, die ernsthaft nach Antworten sucht, in beiden Fällen kann es hilfreich sein, aus der gläubigen Perspektive die Frage neu zu formulieren, denn andernfalls wird der Blick meist unüberwindbar verstellt. Wenn das Gegenüber darauf besteht, die Frage nach dem priesterlichen Zölibat unter Absehung vom christlichen Glauben zu beantworten, würde ich von einem Antwortversuch abraten und im Gegenzug darauf hinweisen, dass die priesterliche Berufung unter solcher Absehung nicht existiert, und sich die Frage darum erübrigt. Wie die Antwort, so muss auch die Frage im christlichen Kontext gestellt werden können, denn - wie so oft - losgelöst davon ist es "Torheit".


PS. In jenem Brief von 1967 formuliert Rahner auch eine herrlich klare, fast vulgäre Absage an den nach wie vor grassierenden, pseudo-wissenschaftlichen Umgang mit der Heiligen Schrift zur Unterfütterung selbst der schrägsten theologischen Ergüsse (Rahner selbst entging weitestgehend dieser Versuchung, weil er die Schrift in späteren Jahren einfach weiträumig ignorierte, sein "Grundkurs des Glaubens" etwa, kommt fast gänzlich ohne die Bibel aus): 

»Ihr jungen Leute ruft heute energisch nach der Schrift. Schön und gut. Es ist wunderbar, daß das Wort der Schrift Euch heute mehr gilt als ein Satz aus einem staubigen Schulbuch der Scholastiker, als die säuerliche Rede eines dürren und menschlich unterernährten Aszeten oder sogar mehr als eine päpstliche Enzyklika. Aber kann ich nicht mehr lesen oder können es manche junge Geistlichen nicht mehr? Im Neuen Testament ist der Verzicht auf die Ehe bezeugt als echte, hohe und heilige Möglichkeit des christlichen Daseins. Gewiß nur für solche, die es fassen können. Aber man muß es auch fassen wollen; es ist nicht für die Eunuchen gesagt, was da steht. Aber schon kommen die dreimal Gescheiten, die das kritische Instrumentarium der modernen Exegese handhaben zu können glauben: "Das ist zeitbedingt!" "Das ist Dualismus!" "Das hat der wirkliche Jesus selber nicht gesagt!" Man ruft nach "Formgeschichte" usf. und möchte die "Rejudaisierung" oder "Hellenisierung" Jesu ausmerzen. Solche Leute nehmen die Schrift nur dann ernst, wenn es ihnen paßt; andernfalls ist ihnen die Schrift wie eine Wachsnase, die sie nach jeder Richtung drehen können. Selbst wenn man einkalkuliert, daß auch in der Schrift in diesem Fall das eigentlich "Gemeinte" unter bestimmten Vorstellungsmodellen, in geschichtlich und soziologisch bedingten Situationen, unter nie ganz reflex verarbeiteten Voraussetzungen ergriffen wird, die nicht mehr einfach die unseren heute sind, - was beweist das gegen die Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen", die die Schrift eben doch "meint"? Selbst wenn ein gewisser "Dualismus" den latenten Hintergrund gebildet hätte, steckt nicht auch in ihm eine Menschheitserfahrung, die nur Oberflächliche billig ganz beiseite schieben? Ist das Gemeinte selbst von diesem "Dualismus" abhängig, weil dieser die Situation war, in der das Gemeinte (von dem ich noch schreiben muß) zuerst deutlich ergriffen werden konnte (aber eben um gehalten werden zu können)? Nein, es bleibt dabei: Die Schrift weiß als Gottes Wort mitten im Menschenwort, daß der Zölibat eine echte Möglichkeit des christlichen Daseinsvollzugs ist.«

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