Dienstag, 25. Januar 2022

Ist die katholische Sexualmoral schuld?

Die Argumentation, warum die katholische Sexualmoral, und näherhin die kritische Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität, für die Missbrauchs- und Vertuschungskrise (mit)verantwortlich ist, geht so:

Weil die Kirche gegenüber Homosexualität eine ablehnende („rigide“) Haltung einnimmt, können sich homosexuell empfindende Menschen nicht frei dazu bekennen. Zugleich knüpfen diese Menschen aber engmaschige Netzwerke, da sie „unterdrückt“ werden und sich also mit Ihresgleichen zusammentun wollen. Wenn nun aber jemand von der homosexuellen Orientierung etwa eines Priesters weiß, dann wird er somit in die Lage versetzt, den Betroffenen zu erpressen. Diese Netzwerke, sowie die Tatsache, dass selbst ausgelebte Homosexualität von Klerikern seitens der Autoritäten hingenommen wird, sind Gründe für die Vertuschung von Missbrauch. Das Problem sind also nicht die homosexuellen Priester, die allein dadurch schon gegen die Regeln der Kirche verstoßen haben, dass sie sich haben weihen lassen, das Problem ist, dass die Kirche Homosexualität kritisch sieht. Die Kirche muss folglich Homosexualität und homosexuelle Handlungen anerkennen, dann entstehen keine Netzwerke, es gibt keine Erpressungsmöglichkeiten und folglich keine Vertuschung (über den Missbrauch selbst ist damit nichts ausgesagt).



So neuerdings auch nachzulesen im WSW-Gutachten S. 424-425, was auch immer solche antikirchliche Propaganda dort zu suchen hat.

Spielt man das einmal mit einer anderen sexuellen Orientierung durch, z.B. Pädophilie (die – so ein Zufall aber auch – genau zu der Zeit, als die Missbräuche in den 60er und 70er Jahren ihren Höchststand erlebten, von einigen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien als eine durchaus legitime Spielart der Sexualität erachtet wurde), dann wird die Unsinnigkeit dieser Argumentation deutlich:

Weil die Kirche gegenüber Pädophilie eine ablehnende („rigide“) Haltung einnimmt, können sich pädophil empfindende Menschen nicht frei dazu bekennen. Zugleich knüpfen diese Menschen aber engmaschige Netzwerke, da sie „unterdrückt“ werden und sich also mit Ihresgleichen zusammentun wollen. Wenn nun aber jemand von der pädophilen Orientierung etwa eines Priesters weiß, dann wird er somit in die Lage versetzt, den Betroffenen zu erpressen. Diese Netzwerke, sowie die Tatsache, dass selbst ausgelebte Pädophilie von Klerikern seitens der Autoritäten hingenommen wird, sind Gründe für die Vertuschung von Missbrauch. Das Problem sind also nicht die pädophilen Priester, die allein dadurch schon gegen die Regeln der Kirche verstoßen haben, dass sie sich haben weihen lassen, das Problem ist, dass die Kirche Pädophilie kritisch sieht. Die Kirche muss folglich Pädophilie und pädophile Handlungen anerkennen, dann entstehen keine Netzwerke, es gibt keine Erpressungsmöglichkeiten und folglich keine Vertuschung (über den Missbrauch selbst ist damit nichts ausgesagt).

Ist das etwa die Lösung des Problems?


Ein Priesteramtskandidat mit tiefsitzenden homosexuellen Neigungen darf nicht geweiht werden.

Man wirft der Kirche vor, sie verhindere durch ihre Haltung die Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang mit Homosexualität. Das verdreht aber die Tatsachen: Würden alle beteiligten Personen (Kandidaten und Verantwortliche) offen, ehrlich und liebevoll mit sich selbst und mit einander umgehen, hätten wir das Problem nicht. Ein ehrlicher Umgang hätte zur Folge, dass bestimmte Leute einfach nicht um die Weihe bitten bzw. nicht geweiht werden würden, einfach weil sie die Bedingungen nicht erfüllen, und dass sie zugleich mit aller gebotenen Hirtenliebe auf ihrem Lebensweg begleitet werden können.

Ein Problem ist sicher, dass die, die sich outen, tatsächlich oft ungerecht und lieblos behandelt werden. Solche Behandlung ist aber nicht die „rigide Haltung der Kirche“, sondern eine moralische Verfehlung derer, die so handeln! Das wird oft übersehen: Auch solch ungerechte und lieblose Behandlung ist ein Verstoß gegen die kirchliche Morallehre und darf nicht sein. Es muss vielmehr klar sein, dass die ungerechte und lieblose Behandlung homosexuell empfindende Menschen bei diesen zu Angst führt, was wiederum zur Verheimlichung führt und so wiederum zu Misstrauen durch die Verantwortlichen, was wieder ungerechte Behandlung befeuert. Diese Spirale kann nur durchbrochen werden, wenn tatsächlich ehrlich mit der Sachlage umgegangen wird, und zwar von Seiten der Kandidaten, wie von Seiten der Verantwortlichen.

Durch Verheimlichung etwa von Homosexualität wird die Spirale von wechselseitigem Misstrauen und seelischer Gewalt vorangetrieben, aber es kann keine Verständigung, keine seelische Heilung, keine Versöhnung mit Gott und keine fruchtbare Nachfolge Jesu geschehen. Nur durch Offenheit und Ehrlichkeit seitens der Betroffenen, und nur durch echte Hirtensorge und Liebe seitens der Seelsorger können diese Menschen dem Evangelium gemäß leben und dabei von der Kirche alle Unterstützung erhalten (vgl. das lesenswerte Buch "A War of Loves" von David Bennett). Würden sich die Kandidaten und die kirchlichen Autoritäten an die kirchliche Moral halten – dazu zählt auch der respekt- und liebevolle Umgang! –, dann gäbe es keine diesbezüglichen Netzwerke oder Erpressungen, folglich keine darin begründete Vertuschung. (Dass jeder bekommen soll, was er will [z.B. eine Weihe], ist übrigens weder respektvoll noch gerecht und auch keine Liebe, es ist ein Kindergarten der Gleichgültigkeit. Der Kirche kommt es nunmal zu, in Verantwortung vor Gott die Zugangsbedingungen für das Weiheamt festzulegen; sich daran zu halten ist auch wieder ein moralische Frage [--> Gehorsam].)

[Und es gäbe auch viel weniger Missbrauch durch Kleriker, da erwiesenermaßen die große Mehrheit dieser Fälle homosexueller bzw. ephebophiler Natur sind (war es 80%?). Aber das darf man ja nicht laut sagen.]



Im WSW-Gutachten ist dann noch zu lesen: „Homosexuelle Handlungen sind eine schwere Sünde. Homosexuelle Menschen sind daher zur Keuschheit aufgerufen (Nr. 2359 des Katechismus der Katholischen Kirche).“
Das ist natürlich wieder die bekannte Stammtisch-Irreführung. Richtig ist: Jede außerhalb der Ehe von einem Mann und einer Frau ausgelebte Sexualität ist eine schwere Sünde. Alle Menschen sind zur Keuschheit aufgerufen! Dass das die meisten Katholiken nicht wissen (weil die Hirten es ihnen auch nicht sagen) und nicht wissen wollen, ist das Problem. Jeder sexuelle Missbrauch, jede Vertuschung (und auch jede ungerechte oder respektlose Behandlung homosexuell empfindender Menschen) ist ein eklatanter Verstoß gegen die katholische Moral. Wie kann eine Aufweichung dieser Moral die Lösung sein? Wann war das Loslassen der moralischen Zügel in der Geschichte jemals zielführend für die Bekämpfung sittlicher Verfehlungen?

Das Gegenteil ist wahr. Dies kann man etwa in dem schon fast 1000 Jahre alten „Buch Gomorrah“ des heiligen Kirchenlehrers Petrus Damiani nachlesen, der sich seinerzeit (11. Jhd.) schon mit weitreichender kirchlicher Korruption und einem moralisch (sexuell!) verkommenen Klerus herumschlagen musste – erschütternd, wie ähnlich die Zustände heute wieder sind –: nur eine Rückbesinnung auf eine klare Moral und ihre Durchsetzung kann dem Ungemach Einhalt gebieten. Wenn das bedeutet, dass ein Gutteil unseres Klerus entlassen werden muss, dann ist das nur gerecht. Die Duldung etwa von Konkubinaten und anderer Praktiken ist Teil des Problems, sie führt zu jenen Netzwerken und ist eine logische Vorstufe der Vertuschung.

Ich bin 100% für die rückhaltlose Aufklärung und bin ohnehin schon länger der Meinung, dass sicherheitshalber der gesamte Episkopat in einem Aufwasch ersetzt werden müsste. Dann entsprechende Gutachten für alle Bistümer erstellen und erst dann nach und nach die Stühle wieder besetzen mit Leuten, die möglichst weit weg sind von dem hiesigen System von Unglaube/Unmoral, Missbrauch und Vertuschung (in Afrika und Asien gibt es bestimmt viele fleißige Priester!). Die neuen Bischöfe können dann in ihren Ordinariaten in gleicher Manier ein Großreinemachen veranstalten und bei der Gelegenheit die ausufernde Bürokratie (immer mehr Verwaltung für immer weniger Gläubige) proaktiv verschlanken – auch das dämmt Vertuschungsmöglichkeiten ein. Dann kann man langsam wieder aufbauen, insbesondere mit solider Glaubensbildung und der darauf fußenden offenen und ehrlichen Moralverkündigung. (Auch im Erzbistum Paderborn wird es bald, pünktlich zum altersbedingten Amtsverzicht des gegenwärtigen Bischofs [so ein Zufall!], ein Gutachten geben... man ist gespannt.)

Auch wenn beispielsweise ein Joseph Ratzinger, der wohl wichtigste und gescheiteste Theologe des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, sich in der Vergangenheit etwas hat zu Schulden kommen lassen, muss das raus, sichtbar sein, bekannt werden und Umkehr geschehen! Die Berufung auf den Buchstaben des Gesetzes, der ihn entlastet, reicht nicht, denn Schuld kann auch der haben, der das Gesetz penibel befolgt, da Gesetz und Moral bekanntlich zwei sehr verschiedene Paar Schuhe sind.

Sonntag, 23. Januar 2022

Tradition und Fortschritt

Der heilige und kluge Mann erkannte nämlich, dass die Frömmigkeit nichts anderes gestatte, als dass alles mit derselben Treue den Kindern übermittelt werde, mit der wir es von den Vätern empfangen haben; dass ferner wir die Religion nicht dahin führen, wohin wir wollen, sondern ihr vielmehr zu folgen haben, wohin sie uns führt; dass es endlich das Eigentümliche der christlichen Bescheidenheit und Bedachtsamkeit ist, nicht das Eigene den Nachkommen zu überliefern, sondern das von den Vorfahren Empfangene zu bewahren.

[...]

Aber vielleicht sagt jemand: Wird es also in der Kirche Christi keinen Fortschritt der Religion geben? Gewiss soll es einen geben, sogar einen recht großen. Denn wer wäre gegen die Menschen so neidisch und gegen Gott so feindselig, dass er das zu verhindern suchte? Allein es muss in Wahrheit ein Fortschritt im Glauben sein, keine Veränderung. Zum Fortschritt gehört nämlich, dass etwas in sich selbst zunehme, zur Veränderung aber, dass etwas aus dem einen sich in ein anderes verwandle. Wachsen also und kräftig zunehmen soll sowohl bei den einzelnen als bei allen, sowohl bei dem einen Menschen als in der ganzen Kirche, nach den Stufen des Alters und der Zeiten, die Einsicht, das Wissen und die Weisheit, aber lediglich in der eigenen Art, nämlich in derselben Lehre, in demselben Sinne und in derselben Bedeutung.

[...]

Denn es gehört sich, dass jene alten Lehrsätze einer himmlischen Philosophie im Verlaufe der Zeit weiter ausgebildet, gefeilt und geglättet werden; aber es ist unzulässig, dass sie verändert, unzulässig, dass sie entstellt, unzulässig, dass sie verstümmelt werden; sie mögen an Deutlichkeit, Licht und Klarheit gewinnen, aber sie müssen ihre Vollständigkeit, Reinheit und Eigentümlichkeit behalten.

Denn wenn einmal eine solche Willkür gottlosen Betruges zugelassen würde, so würde, ich sage es mit Schrecken, die größte Gefahr der Zerstörung und Vernichtung der Religion die Folge sein. Denn wird einmal auch nur ein kleiner Teil der katholischen Glaubenslehre aufgegeben, so wird auch ein anderer und dann wieder ein anderer und zuletzt einer nach dem anderen wie gewohnheits- und rechtmäßig aufgegeben werden. Wenn aber die einzelnen Teile verworfen werden, was anders wird dann die letzte Folge sein, als dass das Ganze zugleich verworfen wird?

 

Vinzenz von Lérins, Commonitorium 9.28.30-31