Montag, 25. Juli 2016

In memoriam Alex Stock

Wie ich leider heute erst erfahren habe, verstarb am 17. Juli der Theologe Alex Stock im Alter von 79 Jahren.

Er ist selbst in Fachkreisen verhältnismäßig wenig bekannt, taucht in der Öffentlichkeit faktisch nicht auf und wird vom theologischen Mainstream, wenn er denn bekannt ist, zuweilen bewusst ignoriert. Nicht selten hört man den Vorwurf, er würde garkeine echte Theologie betreiben. Wenn man den theologischen Mainstream als "echte Theologie" betrachtet, dann stimmt das wohl auch. Tatsächlich ist sein Schaffen schlichtweg einzigartig. Und m. E. einfach großartig, überwältigend.
Sein Hauptwerk ist die "Poetische Dogmatik", die von manchem als "Summa Theologiae des 21. Jahrunderts" gepriesen wird. Aber eigentlich ist sie etwas sehr viel Spezielleres und Ästhetischeres: Zwei Jahrtausende christlicher Kultur in Gebet, Lyrik, Prosa, Musik, Bild, Architektur sind darin umfassend erschlossen zur Erhellung des Glaubens, der sie einst hervorbrachte. Schon vor Beginn meines Studiums hat mich das Werk fasziniert und es begleitet mich bis heute (trotz des horrenden Preises, den der Autor selbst, wie er mir einmal sagte, sehr bedauerte, und der wohl auch der Nische abseits des Mainstreams geschuldet ist, in die die Theologie ihn gesteckt hat).
Viel hat sich Alex Stock auch mit der Sprache des Gottesdienstes befasst und dazu u.a. eigene Übersetzungen und Erklärungen der Orationen des römischen Messbuches vorgelegt, die nicht nur der Sprache des lateinischen Originals, sondern v.a. dem theologischen Inhalt so viel mehr gerecht werden, als die gegenwärtige offizielle Übersetzung - die viel zu oft eine schwammige Nacherzählung/Umdichtung mit Hang zum niveaulosen und schon in der Textgestalt irgendwie immer gleich klingenden Einheitsbrei ist.

Vor fünf Jahren, bevor der neunte Band des Gesamtwerkes, der zweite Band der Schöpfungslehre ("Menschen"), erschien, hatte ich die Gelegenheit, ein für den Kontext (am Rande einer wissenschaftlichen Tagung) erstaunlich ausführliches Gespräch mit ihm zu führen (ein Glücksfall, denn v.a. wegen ihm bin ich überhaupt zu der Tagung gegangen, die sich dann insgesamt als überaus bereichernd herausstellte, wie keine andere Fachtagung, an der ich bisher war). Er wusste damals nicht, ob er noch Zeit haben würde, das Werk weiterzuführen. Der Begrenztheit seiner Zeit war er sich sehr wohl bewusst. Ich glaube nicht, dass er zweifelte, ob er sich mit der Größe des Projektes übernommen hatte - er nahm die Zeit, die ihm zugeteilt war und ich spürte keine Spur von Verdruss. Wir sprachen u.a. über die mögliche Komposition dieses eventuell kommenden Bandes.
Ich war tief beeindruckt von der Klarheit und schier unermesslichen Weite seines Denkens. Er war so universal belesen wie wohl kein anderer lebender Theologe (am ehesten noch vergleichbar mit Hans Urs von Balthasar; vgl. hier). Nun ist, nur eine Woche vor seinem Tod!, der elfte und letzte Band erschienen, der zweite der Ekklesiologie ("Zeit"). Das Werk ist abgeschlossen. Deo gratias! Ganz zum Schluss seines Schaffens, bietet Stock darin sogar einen Vorschlag für eine Liturgie des Requiem (190-196)...

Ein ausführlicher und sehr würdiger Nachruf findet sich hier.

R.I.P.

Sonntag, 24. Juli 2016

Zelebrationsrichtung

Die Zelebrationsrichtung ist ein Feld ideologischer Auseinandersetzungen, wie kaum ein anderer Aspekt der Messe neben dem pro multis (vgl. dazu hier). Ein paar unsystematische Gedanken zur - achtung Wortwitz - Orientierung. (Das Wort kommt von lat. oriens, also: Osten. Orientierung meint wörtlich: Ostung.)
Ich persönlich favorisiere die gemeinsame Gebetsrichtung von Volk und Priester (und ich weiß mich damit im Einklang mit dem Römischen Messbuch, s.u.). Allerdings nicht, weil das schon immer so war, sondern weil ich glaube, dass unsere Zeit den Sinn für das Heilige verloren hat, und in der gemeinsamen Ausrichtung dieses besser erfahren werden kann, als in einem von profaner Alltagserfahrung und vom Showbiz zuweilen ununterschidbaren vis à vis von Volk und Priester (vgl. meine Gedanken dazu hier).


Kardinal Sarah bei der Sacra Liturgia Konferenz Anfang Juli in London (kompletter Text hier):

»[I]t is very important that we return as soon as possible to a common orientation, of priests and the faithful turned together in the same direction—Eastwards or at least towards the apse—to the Lord who comes, in those parts of the liturgical rites when we are addressing God. This practice is permitted by current liturgical legislation. It is perfectly legitimate in the modern rite. Indeed, I think it is a very important step in ensuring that in our celebrations the Lord is truly at the centre.
And so, dear Fathers, I humbly and fraternally ask you to implement this practice wherever possible, with prudence and with the necessary catechesis, certainly, but also with a pastor’s confidence that this is something good for the Church, something good for our people. Your own pastoral judgement will determine how and when this is possible, but perhaps beginning this on the first Sunday of Advent this year, when we attend ‘the Lord who will come’ and ‘who will not delay’ (see: Introit, Mass of Wednesday of the first week of Advent) may be a very good time to do this.«

An dieser Bitte(!) des Kardinals ist eigentlich alles richtig. Bemerkenswert ist zunächst, dass es eben eine Bitte ist, kein offizieller Erlass, und dass sie überdies wohlbegründet und zugleich mit großer Milde vorgetragen wurde: Der Kardinal hat lediglich das Offensichtliche konstatiert, dass die Zelebration zum Herrn hin, an den Stellen in der Messe, an denen dieser Herr angesprochen wird, durchaus erlaubt ist. Um mit Loriot zu sprechen: Achwas?

Erstaunlich sind dagegen die Reaktionen gewisser Bischöfe gewesen, etwa die des Erzbischofs von Westminster, der seinen Priestern wenige Tage später in einem Brief von einer Zelebration ad orientem abriet, und der sich dabei auf eine falsche (und bereits seit mehreren Jahren korrigierte) Übersetzung eines offiziellen Textes stützte. Entscheidend ist für ihn die Nr. 299 der Grundordnung des Römischen Messbuches, die er in seinem Brief wie folgt zitierte:
»The altar should be built apart from the wall, in such a way that it is possible to walk around it easily and that Mass can be celebrated at it facing the people, which is desirable wherever possible.« (hier)
[Das ist insofern auch ein Affront, weil wenige Tage zuvor Kardinal Sarah im Haus des Erzbischofs zu Besuch war.]

Father Z. hat hier ausführlich darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine falsche Übersetzung der Norm handelt. U.a. in der deutschen Übersetzung ist es einigermaßen korrekt (aber offenbar immer noch für eine Fehlinterpretation offen) wiedergegeben, wenn es dort heißt: 
»299. Der Altar ist von der Wand getrennt zu errichten, so dass man ihn leicht umschreiten und die Feier an ihm dem Volk zugewandt vollzogen werden kann. Das empfiehlt sich überall, wo es möglich ist.« (hier kann man die Grundordnung als PDF herunterladen)
Die entscheidende Frage ist, worauf sich der letzte empfehlende(!) Satz bezieht: Auf die Zelebrationsrichtung oder auf den von der Wand abgelösten Altar? Antwort: Natürlich auf den Hauptsatz der vorhergehenden Aussage, also auf die Stellung des Altares. Die Begründung mit der Umschreitbarkeit und der Möglichkeit ("kann") der Zelebration zum Volk hin, ist ein Einschub, eine Parenthese zur hauptsächlichen Aussage über den Ort des Altares. Das wird besonders offenkundig im letztendlich maßgeblichen lateinischen Text der Grundordnung, dort handelt es sich bei dieser Passage nämlich um einen einzigen Satz: 
»299. Altare exstruatur a pariete seiunctum, ut facile circumiri et in eo celebratio versus populum peragi possit, quod expedit ubicumque possibile sit.« (hier nachzulesen)
Der von mir kursiv gesetzte Mittelteil kann ohne Beeinträchtigung der Syntax herausgenommen werden, denn es handelt sich eben nur um eine Parenthese, die ebensogut in Klammern oder in einer Fußnote stehen kann: Was sich "empfiehlt [...] wo es möglich ist", ist die Ablösung des Altares von der Wand, nicht die Zelebrationsrichtung.
Zu beachten ist hier auch, dass dies keine Norm ist, die um jeden Preis durchgeführt werden soll, sondern eben nur "wo es möglich ist". Es ist vor diesem Hintergrund besonders erschreckend, in wie vielen noch so kleinen Kirchen und Kapellen man in den letzten Jahrzehnten noch einen "Zelebrationsaltar" gezwängt und damit den Platz für selbige Zelebration erheblich eingeschränkt hat. In der alten Allgemeinen Einführung in das Messbuch fehlt in der entsprechenden Nr. 262 jene Passage mit der Empfehlung "wo es möglich ist", man wollte damit in der neuen Grundordnung wohl genau diesem Phänomen der zuweilen ins Absurde reichenden Einengung des liturgischen Raumes entgegentreten.
Was mich auch sehr wundert seit ich katholisch bin, ist ohnehin die Tatsache, dass man überhaupt das Geld für all die neuen Altäre hatte... V.a. aber gab es niemals eine Anweisung, die zum Abriss bestehender Altäre veranlasste, Hier ist lediglich die Rede von zu beachtenden Gesichtspunkten bei Neubauten.

Ich fand einmal in einer Kirche an der Stelle, wo einmal ein Hochaltar stand, eine Gratnitplatte, auf der eingemeißelt stand, dass der Hochaltar "gemäß den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils" abgerissen worden sei. In dieser Aussage stecken so viele Fehler, dass es mir kalt den Rücken runter lief, aber dieses Beispiel macht deutlich, wie unglaublich ideologisch verblendet nicht wenige Menschen waren und bis heute sind.
Dazu passt es, dass es sich ein gewisser Chefredakteur einer gewissen bedeutenden Jesuitenzeitschrift, von dem man doch wohl eine gewisse theologische Kompetenz erwarten darf, sich in der Folge der Diskussion um die Bitte Sarahs per Twitter nicht nehmen ließ, die lateinische(!) Grundordnung (Nr. 146) derart zu paraphrasieren, dass darin stünde, der Priester würde dies oder jenes "zum Volk gerichtet" ("facing the people"; siehe den Tweet hier) tun. Der Clou ist natürlich, dass genau diese Grundordnung an zahlreichen Stellen präzise zu unterscheiden weiß zwischen der Zugewandtheit zum Volk (versus [ad] populum; z.B. Nr. 124), der Zugewandtheit zum Altar (ad altare conversus) und dem dem Volk zugewandt Stehen am Altar (ad altare... versus ad populum; z.B. Nr. 164); und zwar genau so, wie man es erwarten würde, wenn die Gebete, v.a. das eucharistische Hochgebet, in einer gemeinsamen Gebetsrichtung mit dem Volk gesprochen werden und der Priester sich dementsprechend jedes Mal erst umwenden muss, wann immer er das Volk anspricht. So heißt es etwa in Nr. 157 und 158 (s. auch Nr. 243-44 bei Konzelebrationen sowie Nr. 268, wo die Hinwendung zum Volk mangels Volk wegfällt), wo es um das Agnus Dei und die Kommunion des Priesters geht:
»157. Hat der Priester das Gebet beendet, macht er eine Kniebeuge, nimmt eine in derselben Messe konsekrierte Hostie, und indem er sie etwas über der Patene beziehungsweise Hostienschale oder über dem Kelch erhoben hält, spricht er zum Volk gewandt [versus ad populum]: Seht das Lamm Gottes...

158. Darauf spricht der Priester, zum Altar gewandt [ad altare conversus], still: Der Leib Christi bewahre mich zum ewigen Leben...«

Auch die Rubriken im Messbuch selbst - für alle, die zu doof sind, die Grundordnung zu lesen - sind darin völlig klar, wenn es etwa schon ganz am Beginn der Messe zum "Der Herr sei mit euch" heißt: "Der Gemeinde zugewandt, breitet der Priester die Hände aus und begrüßt die Gemeinde" (S. 324). Das Messbuch und seine Grundordnung gehen von einem Wechsel der Ausrichtung des Priesters aus, entsprechend dem Adressaten seiner Rede: Ist das Volk angesprochen, soll er sich dem Volk zuwenden, betet er zu Gott, besonders in der eucharistischen Liturgie, dann ist er nicht dem Volk zugewandt. Tatsächlich geht das Messbuch bezüglich der Orientierung beim Hochgebet davon aus, dass es sich im Normalfall um eine andere Richtung als die zum Volk hin handelt, wenn es nämlich in den Rubriken zu den Wandlungsworten über das Brot und den Wein jeweils heißt, dass sich der Priester ein wenig verneigen soll "außer wenn er dem Volk zugewandt steht" (S. 472).
Nicht nur ist also die Zelebration ad orientem erlaubt, wie es Kardinal Sarah sehr konziliant ausdrückte, sie ist sogar der Standard, von dem das Messbuch offenkundig ausgeht. Weswegen auch in den Rubriken des Messbuches (wie in der Grundordnung desselben) die Hinwendung zum Altar gar nicht ausdrücklich erwähnt wird, außer bei der schon erwähnten Priesterkommunion (im Messbuch S. 522), sondern nur die Hinwendungen zum Volk für jeden einzelnen Fall gesondert vorgeschrieben werden, wie etwa bei der schon erwähnten Begrüßung, aber auch mittendrin bei der Einladung zum Gebet (aber nicht beim Gebet selbst! S. 346), beim Friedensgruß (S. 518) und beim Agnus Dei (S. 521), bis hin zum Segen und zum Entlassruf am Schluss (S. 530-31).

Es ist hoffentlich deutlich geworden, dass die Zelebationsrichtung zum Volk hin nicht nur nicht die nunmehr einzige erlaubte Zelebrationsrichtung ist, wie dies tatsächlich zuweilen sogar von Bischöfen insinuiert (vgl. hier ein US Bischof, der gegen die liturgischen Normen von seinen Priestern "erwartet", dass sie zum Volk hin zelebriren) und von manchen v.a. älteren Priestern, aber auch von vielen Theologen lauthals verkündet wird. Sondern genau genommen ist sie sogar nur eine neben dem Standard bestehende Möglichkeit - was aber genau genommen auch schon vor der Liturgiereform der Fall war (bloß war das an den allermeisten Altären spätestens seit dem Barock schlicht nicht möglich; die Nr. 299 der Grundordnung will genau diese Möglichkeit, und zwar als Möglichkeit, wieder eröffnen). Eigentlich geht das Messbuch, wie wir gesehen haben, von einer gemeinsamen Gebetsrichtung aller an der Liturgie Beteiligten aus, und zugleich von einem Gegenüber von Priester und Volk immer genau dann, wenn zwischen diesen tatsächlich auch ein Austausch stattfindet (Einladung zum Gebet, Friedensgruß etc.). Das ist insofern wirklich ein Fortschritt gegenüber der "überlieferten Messe", als dort der Priester selbst dann nicht wirklich dem Volk zugewandt ist, wenn er es angespricht (beim "Orate fratres" und beim Schlusssegen dreht er sich zwar um, soll aber den Blick gesenkt halten). 


Noch ein paar Gedanken, die vllt. Anstöße geben können: 
- Man war seit der Liturgiereform ja immer sehr bemüht, die Zahl der Altäre zu reduzieren. Auch die Grundordnung gibt vor, dass eine Kirche standardmäßig nur einen Altar haben soll, und dass weitere Altäre nur in Seitenkapellen errichtet werden. Es gab geradezu einen Horror vor einer Altarpluralität. Ich habe einmal einen Priester darüber predigen hören, wie schlimm das früher gewesen sei, mit den vielen Altären - eine Kirche dürfe bloß einen Altar haben. Und nach der Predigt stellte sich der selbe Priester hinter seinen Zelebrationsaltar... der nur c.a. 1,5 Meter entfernt war von dem direkt dahinter stehenden Hochaltar... Ob ich an jenem Tag der einzige war, der sein Lachen unterdrücken musste? Es ist ausgesprochen absurd, vor einen bestehenden Altar einen weiteren zu setzen und dann zwischen diesen beiden zu zelebrieren.
- Es ist indes ein Mythos, zu sagen, dass, weil der Hochaltar besonders in großen Kirchen immer so weit weg sei, die Gläubigen früher von der Liturgie nichts mitbekommen hätten. Zum einen wurden früher zumeist eh die dem Volk sehr nahe gelegenen Seitenaltäre verwendet - die heute zugunsten des zumeist weiter vom Volk entfernten "Zelebrationsaltares" brach liegen -, und zum anderen gab es auch schon lange vor der Liturgiereform in den Chorräumen vieler v.a. größerer Kirchen (mobile) Altäre, die oftmals sogar an ziemlich genau der Stelle standen, wo nach der Liturgiereform die "Volksaltäre" hingepflanzt wurden, etwa im mir gerade am nächsten gelegenen Freiburger Münster (wie man auf Fotos aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr schön ersehen kann).
- Das Thema "Zelebrationsrichtung" ist erst seit der Liturgiereform nach dem letzten Konzil von so großem und meist ideologisch getriebenem Interesse. Wenn man etwa im klassischen Handbuch der Liturgik von Eisenhofer (1932) nachschaut, findet sich die Erklärung der Gebetsrichtung nach Osten - zum Wiederkommenden Herrn bzw. zum im Osten gedachten Paradies hin - nur eher beiläufig auf einer halben Seite im Kleingedruckten behandelt, und zwar in dem Abschnitt, dessen Thema eigentlich die Erhebung der Augen vor, während und nach bestimmten Gebeten ist, wie sie seit dem Mittelalter vorgeschrieben waren. In vielen Repertorien und Zeremonienbüchlein wird diese Frage überhaupt nicht thematisiert. Man interessierte sich vor der Liturgiereform nicht für die Frage "zum Volk" oder "nicht zum Volk", sondern von alters her war Osten schlicht und ergreifend die taditionelle (in der Antike allgemein verbreitete) Gebetsrichtung, egal ob dort nun die Apsis lag oder das Volk saß.
- Ich habe bisher absichtlich die letzten Sätze von Nr. 299 der Grundordnung des Römischen Messbuches unterschlagen, weil darin nicht die Ausrichtung des Priesters am Altar behandelt wird. Interessant sind sie dennoch auch für dieses Thema. Sie lauten: 
»Der Altar ist aber so aufzustellen, dass er wahrhaft den Mittelpunkt bildet, dem sich die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung der Gläubigen von selbst zuwendet. In der Regel hat er feststehend und geweiht zu sein.«
Diese Formulierung ist missverständlich für den, der sie missverstehen will. "Zentrum" kann hier nicht so zu verstehen sein, dass der Altar im geographischen Sinne im Mittelpunkt der Kirche zu stehen hat. Wäre dem so, ergäben die vielen Anweisungen, sich dem Volk zuzuwenden, wenig Sinn, denn dieses befände sich ja dann ringsherum. Vielmehr muss es im klassischen Sinne eines Fokalpunktes aufgefasst werden, wie es auch die Formulierung zum Ausdruck bringt, dass sich dem Altar "die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung der Gläubigen von selbst zuwendet"; auch ein klassischer Hochhaltar tut genau dies, und, mit Verlaub, sehr viel effektiver als mancher moderne "Volksaltar" der eher unauffällig oder sogar schäbig daherkommt. In aller Klarheit: Der Altar soll "im wahrhaften Zentrum (lat. revera centrum)" stehen, und zwar im Zentrum der Aufmerksamkeit der feiernden Gemeinde (lat. totius congregationis fidelium attentio), nicht im geographischen Mittelpunkt des Kirchenraumes.Übrigens spricht die maßgebliche lateinische Grundordnung wiederholt beim Treten des Priesters an den Altar vom Hinaufsteigen, lat. ascendit (z.B. Nr. 123), was aber etwa in der deutschen Übersetzung nur mit "herantreten" (lat. entspräche dem accendit - ein kleiner aber feiner Unterschied!) wiedergegeben wird... die Grundordnung geht also davon aus, dass der Altar, an dem zelebriert wird, erhöht gelegen ist - eine Eigenschaft, die einem "Zentrum der Aufmerksamkeit" durchaus dienlich ist.


Die Frage ist nicht "zum Volk" oder "weg vom Volk" oder "mit dem Rücken zum Volk" oder was auch immer. Die eigentliche Frage lautet: Wollen wir gemeinsam im Gebet vor den Herrn hintreten, oder wollen wir primär mit einander einen Dialog führen?
Einem Gegenüber, dem Adressaten der eigenen Rede, wendet man sich naturgemäß zu. Wenn sich aber die Gläubigen dem Priester und der Priester den Gläubigen zuwendet, während sie sich betend an Gott wenden, dann entsteht eine für jedes Kind spürbare Dissonanz. Wenn der Adressat einer Rede Gott ist - sei es bei den Orationen, beim Gloria und besonders beim eucharistischen Hochgebet -, dann ist eine Hinwendung zu anderen Personen problematisch. Es liegt dagegen nahe und kommt der leiblichen Verfassung des Menschen sehr entgegen, wenn man sich bei der Anrede Gottes gerade nicht auf andere Menschen richtet und sich in die Augen sieht, sondern wenn man gemeinsam auf den Herrn, besonders auf das Kreuz schaut.
Interessanterweise ist ausgerechnet in der absolut unverdächtigen, weil ansonsten liberal imprägnierten "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" neulich ein Leitartikel von Christina Rietz mit dem Titel "Schau mir nicht in die Augen" erschienen, der genau dieser Betrachtungsweise wunderbar Ausdruck gibt. Sie schreibt u.a.:
»Die katholische Messe aber bezieht ihre unwiderstehliche Schönheit aus einer dramatischen Symbolik, aus einer sakralen Choreografie, in die sich der Blick gen Osten wunderbar einfügen würde. Was ist im Osten? Architektonisch: in den meisten Kirchen die Apsis mit Hochaltar, Kruzifix und Tabernakel. Geografisch: der Ort der aufgehenden Sonne. Metaphorisch: das Licht der Welt, die Auferstehung, das Ziel aller Messopfer und Gebete. Die gemeinsame Hinwendung von Gottesdienstbesuchern und Priestern ad orientem wäre ein vergleichsweise einfach zu deutendes Zeichen – in einer an komplizierten Zeichen nicht armen Liturgie, die oft nur Eingeweihte verstehen.
Im Alltag suchen Menschen ständig und bei so ziemlich allen Beschäftigungen Blickkontakt zueinander. Den Priester zur Gemeinde hin auszurichten, gut einsehbar und ausgeleuchtet, scheint deshalb folgerichtig zu sein, weil die Situation dem täglichen Erlebnis entspricht: Immer werden wir von Menschen angeschaut, wenn sie uns etwas mitteilen wollen. Doch das Reich des Alltäglichen endet an der Kirchentür. Dahinter gelten andere Gesetze. Je stärker man das bemerkt, desto besser. Die Messe ist ein sakrales Ritual, das sich seinem Wesen nach von profanen Vorgängen unterscheiden muss. Die Eucharistie ist kein Abendessen, deshalb darf sie auch nach anderen Codes funktionieren. Es geht ausdrücklich um ein Opfer, das nicht einer anwesenden menschlichen Gemeinde dargeboten wird.« (hier - absolut lesenswert!)


Erzbischof Nichols von Westminster ist durchaus Recht zu geben, wenn er sagt:
»May I emphasize that the celebration of the Church’s liturgy is not a place in which priests are to exercise personal preference or taste.«
Nur kann er mit dem Argument gerade nicht eine Zelebration versus altare (unterschieden von versus populum) untersagen, denn erlaubt ist beides und eines davon wird vom Messbuch sogar klar favorisiert.
Faktisch leben wir aber in einer antinomistischen Zeit, in der Gesetze (und die Rubriken des Messbuches sind nichts anderes als Gesetze, sie stehen nur aus guten Gründen nicht im CIC - dieser verweist jedoch ausdrücklich auf sie und fordert ihre Einhaltung!) wenig gelten. Auch Nichols selbst ist, entgegen seiner Mahnung, nicht gerade berühmt für seine getreue Observanz liturgischer Vorschriften. Faktisch machen heute viele Priester was ihnen gefällt und in aller Regel steckt dahinter keine ausgefeilte Theologie, sondern bloße Gefühle vermischt mit theologischer Halbbildung. Aber immerhin ist es nicht mehr so schlimm wie in den ersten Jahren nach der Reform, als wirklich alles egal zu sein schien (genau in der Zeit, als sich fast allgemeine die Umkehrung der Zelebrationsrichtung durchsetzte...).
Erfreulich ist, dass gerade die junge Generation der Priester wieder stärker auf die Würde und Rechtheit der Liturgie bedacht zu sein scheint und auch immer mehr junge Gläubige nicht nur kein Problem mehr mit der gemeinsamen Gebetsrichtung haben, sondern diese sogar schätzen. Ich vermute, dass die Generation, die sich einst von dieser verabschiedet hatte, und die dies als großen Sieg feierte, tatsächlich erst wegsterben muss, bevor die junge Generation sich wieder besinnen, und erneut orientieren kann.


PS. Zum Bild: Ein Altar an der Wand des linken Seitenschiffes in der Kirche Santa Maria Antiqua in Rom, die ich vorige Woche besuchen durfte. Der Hohlraum in der Mitte war für Reliquien bestimmt. Über dem Altar thront Christus, umgeben von Aposteln. Dieses Gebäude, im 1. Jahrhundert als profaner Bau am Fuß des Palatin auf dem Forum Romanum errichtet und im 5. Jahrhundert zu einer Kirche umgewandelt, wurde im 9. Jahrhundert durch ein Erdbeben verschüttet und über ein Jahrtausend später in fantastischem Erhaltungszustand wieder ausgegraben. Nach vielen Jahren der Restaurierung ist die Kirche seit diesem Jahr wieder für Besucher geöffnet.

Freitag, 22. Juli 2016

Wieder da!

Ich bin wieder da.

Ab jetzt wird es hier wieder regelmäßiger was zu Lesen geben. Wie man dem "Archiv" zur Rechten entnehmen kann, war es in den letzten 1,5 Jahren, und v.a. in den letzten sechs Monaten, sehr ruhig hier auf dem Blog. Das hing mit der Endphase meines Studiums zusammen, die jetzt vorüber ist.

Das blöde beim Diplom ist, dass man während des Studiums doch erstaunlich wenig macht, was unmittelbar dem Abschluss dient, sodass man das dann mit den Abschlussprüfungen alles aufholen muss.
Man kann es aber auch positiv wenden, und ich ziehe diese Betrachtungsweise vor: Dieser nunmehr tote Studiengang bot die Möglichkeit, sich in Eigenverantwortung breit zu bilden, da man das, was man machen "muss" nicht über das ganze Studium verstreut, sondern gerafft erst am Ende macht. Man muss also nicht in jedem Semester viel Zeit mit Bulemielernen verbringen, sondern nur einmal (bzw. zweimal, wenn man es in zwei Blöcke teilt) am Ende - dann aber richtig! Und dann zahlt es sich zumindest indirekt auch aus, wenn man sich vorher eigenverantwortlich (v.a. theologisch) breiter gebildet hat.

In den nächsten Tagen und Wochen werde ich wohl noch einige rückblickende Gedanken zum Theologiestudium und manches andere zur Zunft der Theologen offerieren, für alle, die sowas interessiert.
Schön, wieder da zu sein. War ja einiges los in der Kirche und in der Blogozese. Auch da werde ich so manchen Senf servieren.