Freitag, 29. März 2019

Zum Thema Todesstrafe


Aus dokumentarischem Interesse.


Inhalt:
- Die Veränderungen der Nummer 2267 des Katechismus der katholischen Kirche 1992 bis 2018

- Aus dem Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe über die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche bezüglich der Todesstrafe (1. August 2018)

- Aus der Ansprache des Heiligen Vaters Papst Franziskus zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des Katechismus der katholischen Kirche (11. Oktober 2017)

- Aus der Ansprache des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Delegation der Internationalen Kommission gegen die Todesstrafe (17. Dezember 2017)
- Eine kleine Auswahl relevanter Texte aus der Tradition der Kirche




Die Veränderungen der Nummer 2267 des Katechismus der katholischen Kirche 1992 bis 2018

1992Deutsch
2267 Soweit unblutige Mittel hinreichen, um das Leben der Menschen gegen Angreifer zu verteidigen und die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Menschen zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu halten, denn sie entsprechen besser den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls und sind der Menschenwürde angemessener.


1997Latein (editio typica)
2267 Traditionalis doctrina Ecclesiae, supposita plena determinatione identitatis et responsabilitatis illius qui culpabilis est, recursum ad poenam mortis non excludit, si haec una sit possibilis via ad vitas humanas ab iniusto aggressore efficaciter defendendas.

Si autem instrumenta incruenta sufficiunt ad personarum securitatem ab aggressore defendendam atque protegendam, auctoritas his solummodo utatur instrumentis, utpote quae melius respondeant concretis boni communis condicionibus et sint dignitati personae humanae magis consentanea.

Revera nostris diebus, consequenter ad possibilitates quae Statui praesto sunt ut crimen efficaciter reprimatur, illum qui hoc commisit, innoxium efficiendo, quin illi definitive possibilitas substrahatur ut sese redimat, casus in quibus absolute necessarium sit ut reus supprimatur, « admodum raro [...] intercidunt [...], si qui omnino iam reapse accidunt ». (EV 56)

1997Deutsch
2267 Unter der Voraussetzung, daß die Identität und die Verantwortung des Schuldigen mit ganzer Sicherheit feststeht, schließt die überlieferte Lehre der Kirche den Rückgriff auf die Todesstrafe nicht aus, wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen.
Wenn aber unblutige Mittel hinreichen, um die Sicherheit der Personen gegen den Angreifer zu verteidigen und zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu halten, denn sie entsprechen besser den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls und sind der Menschenwürde angemessener.
Infolge der Möglichkeiten, über die der Staat verfügt, um das Verbrechen wirksam zu unterdrücken und den Täter unschädlich zu machen, ohne ihm endgültig die Möglichkeit der Besserung zu nehmen, sind jedoch heute die Fälle, in denen die Beseitigung des Schuldigen absolut notwendig ist, „schon sehr selten oder praktisch überhaupt nicht mehr gegeben“ (EV 56).



2018Italienisch (Original)
2267 Per molto tempo il ricorso alla pena di morte da parte della legittima autorità, dopo un processo regolare, fu ritenuta una risposta adeguata alla gravità di alcuni delitti e un mezzo accettabile, anche se estremo, per la tutela del bene comune.
Oggi è sempre più viva la consapevolezza che la dignità della persona non viene perduta neanche dopo aver commesso crimini gravissimi. Inoltre, si è diffusa una nuova comprensione del senso delle sanzioni penali da parte dello Stato. Infine, sono stati messi a punto sistemi di detenzione più efficaci, che garantiscono la doverosa difesa dei cittadini, ma, allo stesso tempo, non tolgono al reo in modo definitivo la possibilità di redimersi.

Pertanto la Chiesa insegna, alla luce del Vangelo, che «la pena di morte è inammissibile perché attenta all’inviolabilità e dignità della persona»,[1] e si impegna con determinazione per la sua abolizione in tutto il mondo.

[1] FRANCISCUS, Sermo ad participantes conventum a Pontificio Consilio de Nova Evangelizatione Promovenda provectum (die XI mensis Octobris anno MMXVII): L’Osservatore Romano (die XI mensis Octobris anno MMXVII), 5.


2018Latein (Übersetzung)

2267 Quod auctoritas legitima, processu ordinario peracto, recurrere posset ad poenam mortis, diu habitum est utpote responsum nonnullorum delictorum gravitati aptum instrumentumque idoneum, quamvis extremum, ad bonum commune tuendum.

His autem temporibus magis magisque agnoscitur dignitatem personae nullius amitti posse, nec quidem illius qui scelera fecit gravissima. Novus insuper sanctionis poenalis sensus, quoad Statum attinet, magis in dies percipitur. Denique rationes efficientioris custodiae excogitatae sunt quae in tuto collocent debitam civium defensionem, verum nullo modo imminuant reorum potestatem sui ipsius redimendi.

Quapropter Ecclesia, sub Evangelii luce, docet “poenam capitalem non posse admitti quippe quae repugnet inviolabili personae humanae dignitati”[1]atque Ipsa devovet se eidemque per omnem orbem abolendae.

[1] Francesco, Discorso ai partecipanti all’incontro promosso dal Pontificio Consiglio per la Promozione della Nuova Evangelizzazione (11 ottobre 2017): L’Osservatore Romano (11 ottobre 2017), 5.

2018Deutsch
2267 Lange Zeit wurde der Rückgriff auf die Todesstrafe durch die rechtmäßige Autorität – nach einem ordentlichen Gerichtsverfahren – als eine angemessene Antwort auf die Schwere einiger Verbrechen und als ein annehmbares, wenn auch extremes Mittel zur Wahrung des Gemeinwohls angesehen.
Heute gibt es ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die Würde der Person auch dann nicht verloren geht, wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat. Hinzu kommt, dass sich ein neues Verständnis vom Sinn der Strafsanktionen durch den Staat verbreitet hat. Schließlich wurden wirksamere Haftsysteme entwickelt, welche die pflichtgemäße Verteidigung der Bürger garantieren, zugleich aber dem Täter nicht endgültig die Möglichkeit der Besserung nehmen.
Deshalb lehrt die Kirche im Licht des Evangeliums, dass „die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt“[1], und setzt sich mit Entschiedenheit für deren Abschaffung in der ganzen Welt ein.
[1] Papst Franziskus, Ansprache zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des Katechismus der Katholischen Kirche, 11. Oktober 2017 (L’Osservatore Romano, 11. Oktober 2017, 5)



Aus dem Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe über die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche bezüglich der Todesstrafe
1. August 2018

4. Johannes Paul II. äußerte sich auch bei anderen Gelegenheiten gegen die Todesstrafe und berief sich dabei auf die Achtung vor der Würde der Person wie auch auf die Mittel der modernen Gesellschaft, um sich vor Verbrechern zu schützen. So brachte er in der Weihnachtsbotschaft 1998 den Wunsch zum Ausdruck, dass «in der Welt der Konsens über dringende und angemessene Maßnahmen erhalten (bleibe) mit dem Ziel , die Todesstrafe abzuschaffen». Im darauf folgenden Monat wiederholte er in den Vereinigten Staaten: «Ein Zeichen der Hoffnung ist die zunehmende Einsicht, dass die Würde des menschlichen Lebens niemals in Abrede gestellt werden darf, auch dann nicht, wenn jemand ein Verbrechen begangen hat. Die moderne Gesellschaft hat die Mittel, sich selbst zu schützen, ohne Verbrechern die Möglichkeit der Besserung endgültig zu nehmen. Ich rufe erneut dazu auf, wie ich es kürzlich an Weihnachten getan habe, zu einer Übereinstimmung bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe, die grausam und unnötig ist, zu kommen».

5. Der entschiedene Einsatz für die Abschaffung der Todesstrafe ging unter den nachfolgenden Päpsten weiter. Benedikt XVI. machte «die Verantwortlichen der Gesellschaft … auf die Notwendigkeit aufmerksam, alles im Bereich des Möglichen zu tun, um die Abschaffung der Todesstrafe zu erlangen».[...]

7. Die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche, die Papst Franziskus approbiert hat, liegt auf der Linie des vorausgehenden Lehramts und führt eine konsequente Entwicklung der katholische Lehre weiter. Der neue Text folgt den Spuren der Lehre von Johannes Paul II. in Evangelium vitae und bekräftigt, dass die Unterdrückung des Lebens eines Verbrechers als Strafe für ein Vergehen unzulässig ist, weil sie gegen die Würde der Person verstößt, eine Würde, die auch dann nicht verloren geht, wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat. [...]

8. All das zeigt, dass die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus eine authentische Entwicklung der Lehre ausdrückt, die nicht im Widerspruch zu früheren Aussagen des Lehramts steht. [...]

9. In der neuen Formulierung wird hinzugefügt, dass das Bewusstsein über die Unzulässigkeit der Todesstrafe «im Licht des Evangeliums» gewachsen ist. [...]



Aus der Ansprache des Heiligen Vaters Papst Franziskus zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des Katechismus der katholischen Kirche 
11. Oktober 2017

Bei dieser Problematik kann man es nicht bei einer hauptsächlich geschichtlichen Abhandlung belassen, die dabei nicht nur die lehramtliche Entwicklung unter den letzten Päpsten außer Acht lässt, sondern auch das veränderte Bewusstsein im Volke Gottes, das eine positive Haltung gegenüber einer Strafe ablehnt, die die Würde des Menschen schwer verletzt. Stattdessen muss deutlich festgestellt werden, dass die Todesstrafe eine unmenschliche Maßnahme ist, die – wie auch immer sie ausgeführt wird – die Würde des Menschen herabsetzt. Sie widerspricht in ihrem Wesen dem Evangelium, weil sie willentlich entscheidet ein menschliches Leben zu beenden, das in den Augen des Schöpfers immer heilig ist und dessen wahrer Richter und Garant im Letzten allein Gott ist. Kein Mensch, »nicht einmal der Mörder verliert seine Menschenwürde« (Brief an den Präsidenten der Internationalen Kommission gegen die Todesstrafe, 20. März 2015), denn Gott ist ein Vater, der immer auf die Rückkehr des Sohnes wartet, der, um seinen Fehler wissend um Vergebung bittet und ein neues Leben beginnt. Niemandem darf daher nicht nur das Leben, sondern damit auch die Möglichkeit einer moralischen und existenziellen Umkehr verwehrt werden, damit er zum Wohle der Gemeinschaft umkehrt.

Anbetracht mangelnder Instrumente zur Verteidigung und einer noch nicht so weit entwickelten gesellschaftlichen Reife, schien die Todesstrafe in vergangenen Jahrhunderten die logische Konsequenz, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Leider wurde auch im Kirchenstaat auf dieses extreme und unmenschliche Mittel zurückgegriffen, und man hat dabei den Primat der Barmherzigkeit über die Gerechtigkeit vernachlässigt. Wir übernehmen die Verantwortung für die Vergangenheit und bekennen, dass diese Methoden mehr von einer legalistischen als von einer christlichen Haltung bestimmt wurden. Die Sorge um Machterhalt und materiellen Reichtum haben zu einer Überbewertung des Gesetzes geführt und ein tiefes Verständnis des Evangeliums verhindert. Gerade deswegen können wir heute, angesichts einer neuen Notwendigkeit, die Würde des Menschen zu betonen, nicht gleichgültig bleiben. Wir würden uns noch mehr schuldig machen. 

Wir stehen hier vor keinerlei Widerspruch zu früheren Lehraussagen, denn die Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod hat in der kirchlichen Lehre stets eine eindeutige und maßgebende Stimme gefunden. Die harmonische Entwicklung der kirchlichen Lehre gebietet es, Positionen zu vermeiden, die an Argumenten festhalten, die längst eindeutig einem neuen Verständnis der christlichen Wahrheit widersprechen. Schon der hl. Vinzenz von Lérins erinnerte: »Aber vielleicht sagt jemand: Wird es also in der Kirche Christi keinen Fortschritt der Religion geben? Gewiss soll es einen geben, sogar einen recht großen. Denn wer wäre gegen die Menschen so neidisch und gegen Gott so feindselig, dass er das zu verhindern suchte?« (Commonitorium, 23.1; PL 50). Darum ist es notwendig zu betonen, dass, egal wie schwer das begangene Verbrechen auch war, die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt.



Aus der Ansprache des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Delegation der Internationalen Kommission gegen die Todesstrafe 
17. Dezember 2017

All this is now reflected in the recently revised text of n. 2267 of the Catechism of the Catholic Church, which expresses the progress of the doctrine of the last Pontiffs, as well as a change in the conscience of the Christian people, which rejects a penalty that is deeply injurious to human dignity [...]; a penalty contrary to the Gospel, because it means suppressing a life which is always sacred in the eyes of the Creator and of which God alone is the true judge and guarantor [...].

In past centuries, when the instruments that we have available today for the protection of society were lacking and the current level of development in human rights had not yet been achieved, recourse to the death penalty was presented on some occasions as a logical and just consequence. Even in the Papal States recourse was made to this inhuman form of punishment, ignoring the primacy of mercy over justice.

It is for this reason that the new version of the Catechism implies that we should also assume our responsibility for the past and that we acknowledge that the acceptance of this type of penalty was due to the mentality of an era that was more legalistic than Christian, which held sacred the value of laws lacking in humanity and mercy. The Church could not maintain a neutral stance in the face of the current demands of reaffirmation of personal dignity.

The revision of the text of the Catechism in the article dedicated to the death penalty does not imply any contradiction with past teaching, because the Church has always defended the dignity of human life. However, the harmonious development of doctrine necessarily requires that the Catechism reflect the fact that, despite the gravity of the crime committed, the Church teaches, in the light of the Gospel, that the death penalty is always inadmissible because it offends the inviolability and dignity of the person.

Likewise, the Magisterium of the Church holds that life sentences, which take away the possibility of the moral and existential redemption of the person sentenced and in favour of the community, are a form of death penalty in disguise [...]. God is a Father who always awaits the return of his son, who, aware he has made a mistake, asks forgiveness and begins a new life. Thus, life cannot be taken from anyone, nor the hope of one’s redemption and reconciliation with the community.



Eine kleine Auswahl relevanter Texte aus der Tradition der Kirche

»1 Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalt unter. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. 3 Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest! 4 Denn sie steht im Dienst Gottes für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht nämlich im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der das Böse tut. 5 Deshalb ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.«
(Hl. Apostel Paulus, Brief an die Römer 13,1-5)


»Einige Ausnahmen jedoch von dem Verbot, einen Menschen zu töten, hat eben jener göttliche Wille selbst gemacht. Von denen aber abgesehen, die Gott zu töten befiehlt, sei es durch gesetzliche Anordnung, sei es jeweils mit Bezug auf eine bestimmte Person durch ausdrücklichen Befehl – in solchen Fällen tötet nicht der, der dem Befehlenden diesen Dienst schuldet wie ein Schwert dem, der es führt, Hilfe schuldet; daher haben jene, die auf Gottes Geheiß Kriege führten oder im Besitze der öffentlichen Gewalt gemäß den Gesetzen Gottes d.i. nach dem Befehl der allgerechten Vernunft Verbrecher mit dem Tode bestraften, nicht wider das Gebot: „Du sollst nicht töten“ gehandelt; und Abraham, weit entfernt, des Verbrechens der Grausamkeit beschuldigt zu werden, wurde vielmehr gerühmt ob seiner Frömmigkeit, weil er seinen Sohn rein nur aus Gehorsam, nicht in frevelhafter Absicht töten wollte (Gen 22); und mit Recht zweifelt man, ob es für einen Auftrag Gottes zu halten sei, dass Jephte seine Tochter, die ihm entgegeneilte, tötete, lediglich weil er gelobt hatte, das was ihm bei der siegreichen Rückkehr aus der Schlacht zuerst entgegenkommen würde, Gott zu opfern (Ri 11,30ff) und auch Samson, der sich selbst mitsamt den Feinden unter den Trümmern eines Hauses begrub, findet nur darin eine Entschuldigung, daß ihm der Geist, der durch ihn Wunder tat, dies heimlich befahl (Ri 16,30) also abgesehen von denen, die entweder ein gerechtes Gesetz ein für allemal, oder Gott, der Quell der Gerechtigkeit, in besonderen Fällen zu töten befiehlt, macht sich des Verbrechens des Mordes jeder schuldig, der einen Menschen – sich oder sonst jemand – tötet.«
(Hl. Augustinus von Hippo, Über den Gottesstaat, lib. 1, cap. 21)

»Was die weltliche Gewalt betrifft, so erklären wir, dass sie ohne Todsünde ein Bluturteil vollstrecken kann, solange sie zum Vollzug der Strafe nicht aufgrund von Hass, sondern aufgrund eines richterlichen Urteils, nicht unvorsichtig, sondern überlegt schreitet.«
(Von Papst Innozenz III. 1210 dem den Waldensern vorgeschriebenen Glaubensbekenntnis von 1208 hizugefügter Satz, da diese das darin Ausgedrückte leugneten; DH 795)

»Zu Recht und ohne Sünde tötet also der Staatslenker die verbrecherischen Menschen, damit nicht der Friede der Bürgerschaft gefährdet wird. Daher sagt der Apostel Paulus 1 Kor 5,6: „Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?“ Und wenig später (V. 13) fügt er hinzu: „Schafft den Bösen fort aus eurem Kreis.“ Und Röm 13,4 heißt es von der irdischen Gewalt, dass sie „nicht ohne Grund das Schwert trägt: denn sie ist Dienerin Gottes und erregt mit ihrer Rache nur den Zorn dessen, der böse handelt.“ Und 1 Petr 2,13f. wird gesagt: „Unterwerft euch jeder menschlichen Ordnung um Gottes willen: sei es dem König, da er über allen steht; sei es seinem Statthalter, da sie zur Bestrafung der Übeltäter, aber zum Preis der Guten bestellt sind.“
Hierdurch wird aber der Irrtum gewisser Leute ausgeschlossen, die behaupteten, körperliche Bestrafungen geschähen zu Unrecht. Diese Leute führen zur Bekräftigung ihres Irrtums an, dass es Ex 20,13 heißt: „Du sollst nicht töten.“ Dies wird auch Mt 5,21 wiederholt. Auch führen sie an, dass Mt 13,30 gesagt Wird, der Herr habe (im Gleichnis) seinen Knechten, die das Unkraut vom Weizenfeld sammeln wollten, geantwortet: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte.“ Mit Unkraut aber sind die „Söhne des Bösen“ gemeint, mit Ernte das „Ende der Welt“, Wie ebenda (V. 38ff.) gesagt Wird. Also dürfe man die Bösen nicht durch die Hinrichtung aus dem Kreis der Guten entfernen.Diese Leute führen auch ins Feld, ein Mensch könne, solange er auf der Welt ist, sich zum Besseren wandeln. Also dürfe er nicht durch die Hinrichtung aus der Welt entfernt, sondern müsse der Buße erhalten bleiben.

Aber dies sind nichtige Einwände. Denn in dem Gesetz, das sagt: „Du sollst nicht töten“, wird bald darauf (Ex 22,17) hinzugefügt: „Die Verbrecher sollst du nicht am Leben lassen.“ Hieraus lässt sich erkennen, dass (nur) die ungerechte Tötung von Menschen verboten ist. Dies ist auch aus den Worten des Herrn in Mt 5 offenbar. Denn als er gesagt hatte: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten“, fügte er hinzu: „Ich aber sage euch: Wer seinem Bruder zürnt“ etc. Hiermit gibt er zu verstehen, dass die Tötung, die aus Zorn hervorgeht, verboten ist, nicht aber die, die aus dem Eifer der Gerechtigkeit hervorgeht. Auch sagt der Herr: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte.“ Wie das zu verstehen ist, ist durch das offenbar, was folgt (V. 29): „Damit ihr nicht beim Sammeln des Unkrauts zugleich auch den Weizen ausrauft.“ Die Tötung der Bösen wird also da untersagt, wo es nicht ohne Gefahr für die Guten geschehen kann. Dies kommt meist dann vor, wenn die Bösen Sich noch nicht von den Guten durch offensichtliche Sünden unterscheiden oder wenn die Gefahr zu fürchten ist, dass die Bösen viele Gute mit sich reißen.

Dass aber die Bösen, solange sie leben, sich noch bessern können, verbietet nicht, dass sie zu Recht getötet werden: denn die Gefahr, die von ihrem Leben droht, ist größer und gewisser, als das Gute, das man von ihrer Besserung erwartet. Auch haben sie gerade im Augenblick des Todes die Möglichkeit, durch Reue zu Gott umzukehren. Wenn sie also bis dahin fest entschlossen sind, dass ihr Herz auch im Augenblick des Todes nicht von der Bosheit ablässt, so kann man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie niemals mehr von der Bosheit ablassen.« 
(Hl. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, lib. 3, cap. 146)


»Es ist erlaubt, Menschen im Gericht entweder zum Tode zu verurteilen oder zu töten. Eine andere erlaubte Art des Tötens ist jene, welche den Obrigkeiten zusteht, welchen die Gewalt des Tötens verliehen ist, kraft welcher sie nach der Vorschrift und dem Urteile der Gesetze die Übeltäter strafen und die Unschuldigen in Schutz nehmen. Wenn sie dieses Amt rechtlich verwalten, sind sie nicht nur des Totschlages nicht schuldig, sondern sie gehorchen im höchsten Grade diesem göttlichen Gesetze, wodurch der Totschlag verboten wird. Denn wenn diesem Gesetze dies als Ziel vorgesteckt ist, dass für Leben und Wohlfahrt der Menschen Sorge getragen wird: so zielen die Strafen der Obrigkeiten, welche die rechtmäßigen Rächer der Verbrechen sind, ebenfalls darauf hin, dass der Verwegenheit und Gewalttätigkeit durch Todesstrafen Einhalt geschieht und so das Leben der Menschen gesichert sei. Daher sagt David (Ps 108): „Frühe tötete ich alle Sünder des Landes, damit ich ausrotte aus der Stadt des Herrn alle Übeltäter“.«
(Papst Pius V. und Papst Klemens XIII, Catechismus Romanus [1566], III,6,4)


»Gibt es Fälle, in denen es erlaubt ist, den Nächsten zu töten?
Es ist erlaubt, den Nächsten zu töten, wenn man in einem gerechten Krieg kämpft; wenn man auf Befehl der höchsten Autorität das Todesurteil als Strafe für ein Verbrechen vollzieht und endlich, wenn es sich um die notwendige und rechte Verteidigung des Lebens gegen einen ungerechten Angreifer handelt.«
(Hl. Papst Pius X., Compendio della dottrina Cristiana [1905], Nr. 413)
 
»Selbst im Fall der Hinrichtung eines zum Tod verurteilten Verbrechers verfügt der Staat nicht über das Lebensrecht eines Einzelmenschen. Es ist der öffentlichen Autorität in diesem Falle vorbehalten, den Verurteilten zur Sühne seines Verbrechens des Lebensgutes zu berauben, nachdem er sein Lebensrecht bereits durch das Verbrechen verwirkt hat.«
(Der Diener Gottes Papst Pius XII. am 13. September 1952; AAS XLIV, 779-789)

»Gott will nicht, dass wir ungerechten Angriffen schutzlos preisgegeben sind. Darum darf jeder in gerechter Notwehr sich und andere verteidigen und dabei den Angreifer sogar verwunden oder töten, wenn es nötig ist. - Die Obrigkeit darf schwere Verbrechen mit dem Tode bestrafen. - Den Soldaten ist es in einem gerechten Kriege erlaubt, die feindlichen Soldaten im Kampf zu töten.«
(Katholischer Katechismus der Bistümer Deutschlands, Münster 1963 [1955], Nr. 221/S. 235)

»Auf Grund der Lehre der Heiligen Schrift und der gesamten christlichen Überlieferung lässt sich dem Staat das Recht, die Todesstrafe zu verhängen, nicht grundsätzlich absprechen.«
(Bernhard Häring, Das Gesetz Christi, München 1967, Bd. 3, S. 149)


»In diesen Problemkreis gehört auch die Frage der Todesstrafe, wobei in der Kirche wie in der weltlichen Gesellschaft zunehmend eine Tendenz festzustellen ist, die eine sehr begrenzte Anwendung oder überhaupt die völlige Abschaffung der Todesstrafe fordert. Das Problem muss in die Optik einer Strafjustiz eingeordnet werden, die immer mehr der Würde des Menschen und somit letzten Endes Gottes Plan bezüglich des Menschen und der Gesellschaft entsprechen soll. Tatsächlich soll die von der Gesellschaft verhängte Strafe „in erster Linie die durch das Vergehen herbeigeführte Unordnung wiedergutmachen“. Die öffentliche Autorität muss die Verletzung der Rechte des einzelnen und der Gemeinschaft dadurch wiedergutmachen, dass sie dem Schuldigen als Vorbedingung für seine Wiederentlassung in die Freiheit eine angemessene Sühne für d as Vergehen auferlegt. Auf diese Weise erreicht die Autorität auch das Ziel, die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Person zu verteidigen und zugleich dem Schuldigen selbst einen Ansporn und eine Hilfe zur Besserung und Heilung anzubieten.

Um alle diese Ziele zu erreichen, müssen Ausmaß und Art der Strafe sorgfältig abgeschätzt und festgelegt werden und dürfen außer in schwerwiegendsten Fällen, das heißt wenn der Schutz der Gesellschaft nicht anders möglich sein sollte, nicht bis zum Äußersten, nämlich der Verhängung der Todesstrafe gegen den Schuldigen, gehen. Solche Fälle sind jedoch heutzutage infolge der immer angepassteren Organisation des Strafwesens schon sehr selten oder praktisch überhaupt nicht mehr gegeben.

Jedenfalls bleibt der vom neuen Katechismus der Katholischen Kirche angeführte Grundsatz gültig: „soweit unblutige Mittel hinreichen, um das Leben der Menschen gegen Angreifer zu verteidigen und die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Menschen zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu halten, denn sie entsprechen besser den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls und sind der Menschenwürde angemessener“.

Wenn auf die Achtung jeden Lebens, sogar des Schuldigen und des ungerechten Angreifers, so große Aufmerksamkeit verwendet wird, hat das Gebot „du sollst nicht töten“ absoluten Wert, wenn es sich auf den unschuldigen Menschen bezieht. Und das umso mehr, wenn es sich um ein schwaches und schutzloses menschliches Lebewesen handelt, das einzig in der absoluten Kraft des Gebotes Gottes seinen radikalen Schutz gegenüber der Willkür und Gewalttätigkeit der anderen findet.

Die absolute Unantastbarkeit des unschuldigen Menschenlebens ist in der Tat eine in der Heiligen Schrift ausdrücklich gelehrte, in der Tradition der Kirche ständig aufrechterhaltene und von ihrem Lehramt einmütig vorgetragene sittliche Wahrheit. Diese Einmütigkeit ist sichtbare Frucht jenes vom Heiligen Geist geweckten und getragenen „übernatürlichen Glaubenssinnes“, der das Gottesvolk vor Irrtum bewahrt, wenn es „seine allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert.“[…]

Mit der Petrus und seinen Nachfolgern von Christus verliehenen Autorität bestätige ich daher in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, dass die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen Menschen immer ein schweres sittliches Vergehen ist. Diese Lehre, die auf jenem ungeschriebenen Gesetz begründet ist, das jeder Mensch im Lichte der Vernunft in seinem Herzen findet (vgl. Röm 2, 14-15), ist von der Heiligen Schrift neu bestätigt, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt gelehrt.

Die willentliche Entscheidung, einen unschuldigen Menschen seines Lebens zu berauben, ist vom moralischen Standpunkt her immer schändlich und kann niemals, weder als Ziel noch als Mittel zu einem guten Zweck gestattet werden. Sie ist in der Tat ein schwerer Ungehorsam gegen das Sittengesetz, ja gegen Gott selber, seinen Urheber und Garanten; sie widerspricht den Grundtugenden der Gerechtigkeit und der Liebe. „Niemand und nichts kann in irgendeiner Weise zulassen, dass ein unschuldiges menschliches Lebewesen getötet wird, sei es ein Fötus oder ein Embryo, ein Kind oder ein Erwachsener, ein Greis, ein von einer unheilbaren Krankheit Befallener oder ein im Todeskampf Befindlicher. [...]“.«
(Hl. Papst Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium Vitae über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens [1995], Nr. 56f.)



[Marginalie: In der ganzen Kirchengeschichte wurde in dieser Frage unterschieden zwischen Unschuldigen und vor dem Recht schuldigen Menschen. Letztere haben demnach ihr Lebensrecht durch ihre Tat verwirkt.]

Mittwoch, 27. März 2019

Dürftige Theologie - 19 - Meinungen

Bitte die Einführung (hier) beachten!
 

Bischof Helmut Dieser von Aachen gab neulich (hier) ein erfrischend unaufgeregtes und nicht nach Aufmerksamkeit heischendes Interview. Dennoch sind manche Aussagen durchaus hinterfragbar. Dass etwa der Bischof meint, "momentan" nicht für das Frauenpriestertum eintreten zu können, verschweigt die simple Tatsache, dass es unerheblich ist, ob er dafür eintritt oder nicht: es geht nicht. Und das rührt auch schon an den Hauptpunkt, an dem es mich juckt, wenn der Bischof etwa sagt: "Wir müssen uns darum die Mühe machen, miteinander so zu reden, dass die verschiedenen Meinungen wirklich einander begegnen können."

Zwar ist dann noch irgendwo die Rede von einer "Wahrheitserkenntnis", aber dieses große Wort wirkt etwas schal, wenn das damit Bezeichnete darauf folgend in ein banales Zuhören aufgelöst wird.

Ich habe kein Problem mit divergierenden Meinungen und Ansichten. Problematisch wird es, wenn von unterschiedlichen Meinungen geredet wird, wo es nicht um Meinungen geht, sondern um Wahrheit. Beispiel Frauenpriestertum. Es ist völlig unerheblich, was meine persönliche Meinung dazu ist. Es gab eine Zeit, da war ich der Meinung, man müsse Frauen auch weihen. Diese Meinung hatte ich so lange, bis mir aufgefallen ist, dass es nicht möglich ist. Genausogut könnte ich der Meinung sein, die Erde sei eine Scheibe. Diese Meinung darf ich zwar gerne haben, aber dann bin ich eben eher geisteskrank.

Es gibt soetwas, das nennt man den "Christlichen Glauben". Dieser hat Inhalte die uns bekannt sind, weil sie uns offenbart, das heißt schlicht: gesagt, verkündet wurden. Das sind so Dinge wie die Menschwerdung Gottes, die Auferstehung Jesu... Dinge halt, die sich beispielsweise im Glaubensbekenntnis finden. Aber auch viele andere Dinge, die sich nicht in altchristlichen Glaubensbekenntnissen wiederfinden, weil sie zur Zeit ihrer Abfassung ganz einfach allgemein akzeptiert waren (denn jene Bekenntnisse wurden i.d.R. formuliert, um je aktuellen Irrlehren zu begegnen, etwa solchen, die die Gottheit Jesu ablehnen, woraufhin es dann im  Credo heißt "Wahrer Gott vom wahren Gott etc."), z.B. die reale Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie (die gleichfalls erst dann lehramtlich in eine gewisse Form gegossen wurde, als sie von einigen bestritten wurde: Reformatoren).
[Genau auf der selben Linie gab Paul VI. 1968, in den nachkonziliaren Wirren, das "Credo des Gottesvolkes" heraus, das den katholischen Glauben in seinen wentlichen Punkten durchbuchstabiert... leider wurde es etwa hier in Deutschland konsequent und durchaus absichtlich totgeschwiegen.]

Unterschiedliche Meinungen sind gut und fruchtbar, wo sie sinnvoll und angebracht sind. Aber es gibt Dinge - wir können sie auch unter dem Stichwort "Wirklichkeit" (oder "Realität" oder "so ist es") zusammenfassen - bei denen ist es eher weniger sinnvoll, unterschiedliche Meinungen zu haben. So ist eben nicht eine Frage der Meinung, ob die Erde flach oder kugelförmig ist, oder ob sie sich um die Sonne bewegt oder andersherum.
Definierte Inhalte des Glaubens (und damit notwendig in Verbindung stehende Sachverhalte) sind auch Wirklichkeit. Entweder ist Gott in seinem Wort wirklich Mensch geworden und hat unter uns gewohnt, ist gestorben und auferstanden am dritten Tag, oder er ist es nicht. Wir Christen glauben, dass er es ist, somit gehören diese Tatsachen (und andere) für den gläubigen Menschen (darum heißt der so) zu jenem Bereich "Wirklichkeit".

Ähnlich wie bei der Form und Bewegung unseres Planeten, kann man nun zwar trotz allem unterschiedlicher Meinung sein hinsichtlich der definierten Glaubenswahrheiten, aber dann befindet sich irgendwer eben im Widerspruch zur Wirklichkeit. 

Die Form und Bewegung des Planeten lässt sich anhand von empirischen Untersuchungen klären. Wie es sich um die Inhalte des Glaubens verhält, ist einerseits schwieriger, andererseits aber doch auch leichter zu eruieren: Denn der Glaube kommt vom hören: »Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündet?« (Röm 10,14) Und Glauben muss man letztlich auch wollen!

Natürlich gibt es Spielraum in dem, was ich zuvor der Einfachheit halber auf einen knappen Begriff gebracht habe. Natürlich lässt sich etwa die Gegenawart Jesu in der Eucharistie auf vielfältige Weise beschreiben (auch Trient sagt von der Transsubstantiation nur, dass sie "treffend" [convenienter] das beschreibt, was in der Wandlung geschieht, es sagt nicht, dass dies die einzige Weise ist, wie man dieses Geheimnis fassen und verstehen kann). Ebenso ist die Form der Erde mit "kugelförmig" nicht abschließend beschrieben, zumal wir wissen, dass sie natürlich keine perfekte Kugel ist (dann gäbe es keine Berge und Täler...), sondern z.B. ein klein wenig abgeflacht ist, da sie zum Äquator hin minimal ausladender wird.
Aber trotz dieses Spielraumes, gibt es doch eine erkennbare (bzw. im Glauben anzunehmende) Wirklichkeit jenseits dieses Spielraumes, die zu bestreiten zwar möglich, aber schwerlich sinnvoll ist.

Wenn nun also überall davon geredet wird, dass es in bestimmten Punkten unterschiedliche Meinungen gibt, muss immer darauf geschaut werden, worum es konkret geht und was die "Meinungen" beinhalten. Handelt es sich um Meinungen, die dem Glauben der Kirche widersprechen, dann sind sie für jedweden Dialog über diesen Glauben wertlos, ja sogar schädlich. Die Grenzen jenes Spielraumes sind nicht immer klar, aber öfter als man gemeinhin denkt sind sie es durchaus, man lese dafür den Katechismus.

Ich habe für mich vor meiner Taufe klar bekommen, dass ich den ganzen Glauben der Kirche teilen und in meinem Leben halten möchte, auch in den Punkten, die ich (noch) nicht verstehe, oder (noch) nicht kenne. Man spricht hier theologisch vom "impliziten Glauben". Mit der Zeit, und nicht zuletzt durch langwierige Lektüre verschiedener Katechismen (wobei es auch dort eine gewisse Rangfolge der Verlässlichkeit und Authentizität gibt), hat sich mein Wissen von diesem Glauben vermehrt, was mir sehr dabei geholfen hat, sinnvolle von unsinnigen Meinungen zu unterscheiden. Wenn etwa ein Katholik die Meinung vertritt, dass die Eucharistie "ein Zeichen der Liebe Gottes" sei, dann weiß ich, dass diese Meinung bestenfalls mangelhaft (weil grob unvollständig, in dem Fall fehlt das Wörtchen "auch" am Beginn), schlimmstenfalls falsch (weil falsch, wenn in dieser Form für den Äußernden vollständig und abschließend) ist.

Auch wenn das jetzt völlig unzeitgemäß ist: Es gibt Richtig/Wahr und Falsch. Und ich weiß nicht, ob es jemals in der Kirchengeschichte so viel Falsches gab, das tagtäglich aus Theologen- und Bischofsmund gedrungen ist, wie heute... und es scheint von Woche zu Woche mehr zu werden.

Zu dem obigen Pauluszitat gehört, dass das Verkündigte geglaubt, genauer: dass den Verkündigern geglaubt wird. Ich finde es zunehmend schwieriger, den amtlichen Verkündigern irgendetwas zu glauben... Grundprinzip für Paulus ist, dass er nicht seine eigene Meinung als Gottes Wille ausgibt: »vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe« (1. Kor 15,3). Paulus achtet stets penibel darauf, was seine Ansichten sind und was von Gott kommt (man lese nur mal ebd. 7,8-16). Heute scheint es beim Blick auf Äußerungen von Bischöfen, etwa beim erwähnten Aachener Bischof, beinahe nur noch "Meinungen" zu geben. Das Empfangene (tradierte), das es weiterzugeben, zu überliefern gilt, taucht nicht mehr auf.
Erschwerend kommt dann noch hinzu, dass jene Meinungen - denen leider nichts "vom Herrn Empfangenes" mehr gegenübergestellt wird -, im Unterschied zum Völkerapostel, meist nicht (im obigen Beispiel freundlicherweise doch) als Meinungen gekennzeichnet sind.

Ich dürste nach Wahrheit. Meinungen interessieren mich in meinem Durst nicht. 
Meinungen füllen die Kabarett-Shows, die politischen Foren und die Stammtische. Gut so, da gehören sie hin. Sie füllen aber nicht die Kirchen. Der Glaube kommt vom Hören, er braucht darum Verkündiger. Meinungen können nun aber per Definition nicht Gegenstand von Verkündigung sein. Sie können Gegenstand von Ansprachen sein, sie können Aufwiegeln und Verdummen, manchmal aufrütteln und anspornen, wenn ich eine ähnliche Meinung vertrete. Aber sie können nicht den Durst nach Leben, Wahrheit, Licht - kurz: nach Gott - stillen.


Es mutet schon etwas grotesk an: Paulus redet vom Hören in überdeutlicher Abhängigkeit zur Verkündigung. Bischof Dieser (und eine exponentiell wachsende Zahl seiner Mitbrüder im bischöflichen Amt in Deutschland und anderswo) verzichtet auf die Verkündigung zugunsten von Meinungen und verlegt sich (der er eigentlich der Verkündigende sein sollte) ganz aufs Hören. Das ist ein kurioser Trend, der schon echt witzig sein könnte, wenn es nicht so bitterernst wäre: Die, deren erste Aufgabe das Verkündigen ist, überbieten sich gegenseitig darin, wer sich am meisten (und am öffentlichkeitswirksamsten) den Menschen gegenüber als "Zuhörer" gerieren kann. Das wird noch grotesker, wenn man bedenkt, dass es eigentlich Aufgabe der Verkündiger ist, auf Gott und sein Wort zu hören, um dann dementsprechend zu lehren...

Da wird der Hirt zum Schaf, oder andersherum draufgeschaut und als logische Konsequenz davon: der Bock zum Gärtner gemacht.


Ich habe seit geraumer Zeit durchaus nicht das Gefühl, von Hirten geleitet zu werden, es ist eher so eine beklemmende Ahnung, von Tagelöhnern alleingelassen zu werden. (Vielleicht ist auch deswegen dieser Blog die letzten Jahre eher inaktiv...)


»Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe.« (Joh 10,11b-15)

»Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut, dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird. Das Lehramt ist nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nichts lehrt, als was überliefert ist, weil es das Wort Gottes aus göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt und treu auslegt und weil es alles, was es als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt, aus diesem einen Schatz des Glaubens schöpft.« (Vaticanum II, DV 10)  


Dieser Beitrag ist gewissermaßen eine Fortsetzung der Nummer 18 in dieser Serie (Perspektive) von vor 3,5 Jahren.