Habe
z.Z. nicht die nötige Muße, eine umfassende Besprechung zu liefern. Ich
empfehle jedem selbst die Leküre, es lohnt sich wirklich, v.a. in den
Passagen, die nicht Zvg betreffen (also eigentlich das ganze Dokument). Ein paar unsystematische und unvollständige Gedanken zu dem Thema, was so viele Gemüter erhizt.
Ich persönlich bin im Großen und Ganzen sehr zufrieden mit Amoris Laetitia (AL). Und zwar v.a. aus dem sehr persönlichen Grund, dass es betreffs jenes Themas der Zivilwiederverheiratetgeschiedenen (Zvg) im Grunde genau das enthält, was ich selbst (etwa hier vor bald 4 Jahren, vgl. auch hier) schrieb, was ich aber schon viel länger auch praktisch erlebt habe (nicht in einem Zvg-Fall, aber in ähnlich gelagerten Angelegenheiten). Darum gehts:
Was von der Glaubens- und Morallehre her gilt, bleibt natürlich unangetastet. Keine Überraschung hier. Auch die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen, bleiben bestehen. Auch keine Überraschung.
Nichts desto trotz gestaltet sich das Leben in der Kirche natürlich nicht in der Vollkommenheit des in sich so kohärenten Regelwerks, denn die Glieder dieser Kirche sind bekanntlich Menschen.
Papst Franziskus hat in AL die einzige mögliche, von mir (s. Links) beschriebene Handlungsweise in der größtmöglichen Deutlichkeit dargelegt. Dass das Ergebnis dennoch vage erscheint, liegt in der Natur der Sache, denn es kann bei diesem einzig möglichen Weg eben gerade nicht um ein in sich abgeschlossenes Regelwerk gehen. Das Wesen der Barmherzigkeit verlangt es.
Ich schrieb damals:
Wenn ein Priester Eheleuten die in einer zweiten zivilrechtlichen Ehe
zusammenleben die Kommunion reicht, weil er diese Leute kennt, weiß,
dass sie treu und fromm zusammenleben und auch die Umstände des
wohmöglich unglaublich schrecklichen Scheiterns der Ehe kennt (und auch
die vllt. haarsträubenden Gründe, warum eine Anullierung nicht zustande
kam), kann das m.E. im je einzelnen Fall legitim sein. Wichtig ist hier,
dass es nicht öffentlich geschieht, dass es um ein Vertrauensverhältnis
geht... weil es immer Einzelschicksale sind.
Es kann und darf aber keine "offizielle" oder "generelle" Richtlinie
geben weil das letztlich zu einem "Es ist egal wie ihr lebt, ihr
dürft..." führt. Das wäre eine
Preisgabe der Sakramente.
Und weiter:
Auch entsteht gerne der Vorwurf, es handle sich doch hier um eine
Doppelmoral, wenn man von offizieller Seite einerseits den vortgesetzten
Ehebruch mit Sanktionen behängt und andererseits aber das "heimliche"
Getue (von dem jeder weiß, worüber man aber nicht redet, weil es nichts
zu reden gibt!) zulässt.
Und ein Stück weit stimmt das auch. Ein Stück weit gibt es in jeder
Gruppe von Menschen Doppelmoral. Und der Grund ist schnell gefunden: Wir
sind keine Maschinen. So gut und richtig die Regeln auch sind die wir
uns gesetzt haben oder die uns (ius divinum) von Gott gegeben
wurden, so sind wir Menschen doch keine Automaten die immer alle Regeln
beachten wollen (oder auch nur können!). Wir sind alle kleine Häretiker
und manchmal auch Kryptoschismatiker, weil wir bestimmte Dinge nicht so
machen, wie es das Ideal (KKK + CIC) vorsieht... aber genau das macht
uns menschlich. Auch Eltern geben ab und an ihren Kindern nach, auch
wenn sie wissen, dass es nicht zu ihrem "Besten" ist. Das stellt nicht
die Regel infrage, hat aber zuweilen etwas mit gewissen Tugenden zutun.
Was aber landauf, landab alle Aufbrüchler und Memorandisten fordern, ist
eine offzielle, allgemeine und rechtlich abgesicherte Regelung dieser
"Ausnahmen", "Schwächen", "Nachgiebig- und -lässigkeiten".
Und das, liebe Leute, ist nicht möglich. Und es schadet obendrein den
Betroffenen, dass ihr es überhaupt versucht...: Barmherzigkeit kann
nicht reglementiert, systematisiert, geplant, verrechnet und
subventioniert werden... Es wird nie einen Canon geben der da lautet "Du
sollst barmherzig sein und darum auch den hartnäckigen Ehebrechern die
Kommunion spenden." Was es gibt, sind Canones und offizielle
Verlautbarungen, die von mildernden Umständen sprechen, von den Werken
der Barmherzeigkeit, Brüderlichkeit und Nächstenliebe, von der Würde des
Menschen, vom hohen Rang des Gewissens, von Weisheit und Hirtensorge,
von Tugend und Klugheit, von Frömmigkeit und Seeleneifer und, ja, auch
vom Heil der Seelen. *wink*
Genau aus diesem Grund findet sich der einzige und zugleich allerleiseste Hinweis in einer Fußnote, während zugleich unerschrocken die Irregularität der in Frage stehenden Situation benannt, und ein Bewusstsein dieser Irregularität eingefordert wird. Es gibt keine Regel dafür, weil es keine Regel geben kann. Aber es gibt den Aufruf zur Barmherzigkeit.
Entgegen vieler Verschwörungstheorien, nimmt der Papst ausführlich die Ergebnisse der Synode auf, und zitiert sie ausgiebig.
Der
Text ist vom Stil her ganz klar das Produkt mehrerer Autoren. Viele
Passagen zeigen geradezu benediktinische Schärfe, während andere eine
typisch franziskanische Lockerheit zeigen. Es
gibt auch ein, zwei Stellen in AL, bei denen ich mir eine präzisere
theologische Sprache gewünscht hätte. Etwa, wenn der Papst schreibt, niemand dürfe »auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums« (Nr. 297)... das ist es durchaus
(nämlich die Gefahr des Verlorengehens, der breite Weg und das weite Tor!), aber was der Papst meint, und was man aus dem Kontext ersehen kann, ist das irdische, durch Menschen geschehende Verurteilen: Denn wir
sollen ja vergeben und verzeihen! Das hätte man aber theologisch präziser fassen können.
Etwas kurios, und für den Nichttheologen vllt. verwirrend ist es auch, wenn der Papst schreibt, dass »es nicht mehr möglich [ist] zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten "irregulären" Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben.« (Nr. 301) Das hat m.W. nie jemand behauptet, dass dies bei allen der Fall sei. Die Irregularität ist eine rechtliche Kategorie, das Recht kann nun aber - und das ist keine neue Erkenntnis - die Gesinnung oder den Gnadenstand nicht feststellen... die zitierte Aussage ist in etwa so neu wie die Erkenntnis, dass auch Urteile von Kirchengerichten falsch sein können. Aber gut, nun wissen es auch die, denen das vorher nicht klar war.
Von solchen Patzern (auch der etwas steinbruchartige Umgang mit Thomas... und Erich Fromm hätte er ruhig noch mehr zitieren dürfen, statt nur auf ihn anzuspielen [etwa mit der "Lehrzeit"]!) mal abgesehen, gefällt mir der Text. Ich sehe sogar sehr stark das Erbe Benedikts durchscheinen (etwa, wenn der Fokus sehr breit, nämlich auf das ganze Leben in der Kirche gelegt wird, nicht bloß auf die teilnahme an den Sakramenten; vgl. die letzten öffentlich gewordenen gedanken von Joseph Ratzinger dazu hier), und das freut mich nochmal extra.
Von besonderer Klarheit (so weit, wie das in dem oben beschriebenen Kontext möglich ist), scheint mir beispielsweise folgender Passus in NR. 300:
»Es handelt sich um einen Weg der Begleitung und der Unterscheidung, der "diese Gläubigen darauf aus[richtet], sich ihrer Situation vor Gott bewusst zu werden. Das Gespräch mit dem Priester im Forum internum trägt zur Bildung einer rechten Beurteilung dessen bei, was die Möglichkeit einer volleren Teilnahme am Leben der Kirche behindert, und kann helfen, Wege zu finden, diese zu begünstigen und wachsen zu lassen. Da es im Gesetz selbst keine Gradualität gibt{!}, wird diese Unterscheidung niemals von den Erfordernissen der Wahrheit und der Liebe des Evangeliums, die die Kirche vorlegt, absehen können. Damit dies geschieht, müssen bei der aufrichtigen Suche nach dem Willen Gottes und in dem Verlangen, diesem auf vollkommenere Weise zu entsprechen, die notwendigen Voraussetzungen der Demut, der Diskretion, der Liebe zur Kirche und ihrer Lehre verbürgt sein." Diese Haltungen sind grundlegend, um die schwerwiegende Gefahr falscher Auskunft zu vermeiden wie die Vorstellung, dass jeder Priester schnell 'Ausnahmen' gewähren kann oder dass es Personen gibt, die gegen Gefälligkeiten sakramentale Privilegien erhalten können.«
Das Schöne an dem Dokument ist, dass es die genau richtige Verhältnisbestimmung vornimmt, was die wirklichen Herausforderungen betrifft, vor denen die Familie heute steht. Dass jenes von vielen als heißestes Eisen betrachtete Thema in eine vage Fußnote verdammt ist, entspricht m.E. der Wirklichkeit und stellt somit einen gehörigen Rüffel, eine schallende Ohrfeige an die Forderer und ihre Claqueure dar. Was
von den Aufbrüchlern gewollt wurde, haben sie nicht erreicht. Überhaupt
nicht. Aber gewiss werden sie es sich noch irgendwie schönreden, werden
sie sich wie die Geier ihr Filetstück herauspicken, und
vielleicht sind manche Bischöfe in deutschen Landen sogar, pardon,
dämlich genug, aus Fußnote 351 eine Rechtsnorm herauszuphantasieren,
gleichwohl der Papst immer wieder klar macht, dass es soetwas schlicht
nicht geben kann. Das sollte aber niemanden verunsichern, sondern eher
zu Mitleid und Gebet für sie anregen (vgl. Jer 23,1). Ich meine, stellt
euch mal das Szenario vor: Das einzige, woran sich Kasperianer in dieser
Enzyklika festklammern können ist eine Fußnote. Sie könne noch nichtmal
einen ordentlichen Satz oder Abschnitt herauspicken und den Rest
ignorieren, sie müssen den gesamten Textkorpus ignorieren und sich an
eine Fußnote klammern. Ich finds witzig, und warte schon gespannt auf den sicher
bald kommenden Aufsatz oder das nächste Buch von Herrn Schockenhoff auf der Grundlage
dieser Fußnote...