»Die Kritiker des Begriffs des "Zornes Gottes" waren schwer im Unrecht, wenn sie sagten, "Zorn" sei keine aus dem Wesen Gottes verständlich zu machende, sie sei insbesondere keine mit seiner Liebe und Gnade zu vereinbarende Eigenschaft, Tätigkeit oder Verfassung.
Dazu ist zu sagen: Gnade wäre nicht Gottes Gnade, wenn sie zu scheiden wäre von der Heiligkeit, in der Gott allein seinen eigenen und als solchen guten Willen gelten und geschehen läßt, allem ihm Fremdem fern ist und widersteht, jeden Widerspruch ihm gegenüber verurteilt, ausschließt und vernichtet. Und Gnade wäre nicht freie Gnade, wenn sie an eine einzige Gestalt ihrer Erweisung und Erscheinung gebunden, wenn er verpflichtet wäre, monoton als die "Liebe", nämlich als das, was wir uns unter Liebe vorstellen, offenbar zu sein, wenn es ihm gewissermaßen verboten wäre, dem, dem ein Nein! zukommt, sein Nein entgegenzustellen, sich da, wo er auf jenen Widerspruch stößt, als der, der er in sich ist, zu verbergen, seine Gnade in jener Fremdgestalt seines Unwillens und Zornes zu offenbaren.
Und vor allem: Gnade wäre ja gar nicht Gnade, gar nicht Gottes ernstliche und wirksame Zuwendung zum Menschen, gar nicht die effektive Aufrichtung seiner Gemeinschaft mit ihm, wenn er sich zu des Menschen Gegensatz zu ihm nicht seinerseits in Gegensatz setzen, wenn er ihn unangeklagt, unverurteilt, ungestraft seiner Wege ziehen lassen, wenn er des Menschen elenden Hochmut ignorieren würde, wenn der Mensch der Sünde ihn nicht zu fürchten hätte, wenn es nicht schrecklich wäre, in seine Hände zu fallen (Hebr 10,31), wenn er dem, der ihm widerspricht, nicht ein verzehrendes Feuer wäre (Hebr 12,29).
Daß seine Gnade ohne sein Gericht nicht seine Gnade wäre, ist ebenso wahr wie das scheinbar Entgegengesetzte - ist vielmehr in unauflöslicher Einheit eben damit wahr: daß es keine Heiligkeit Gottes gibt, die von seiner Gnade zu scheiden, und also auch keinen Zorn Gottes, der etwas Anderes wäre, als das heilsame Brennen seiner Liebe, die ja eben darin ihr abschließendes und eigentliches Werk getan hat, daß er um unserer, der in Sünde und Schuld gefallenen Menschen willen, seines eigenen Sohnes nicht verschont hat.«
(Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/1, 545f.)