Auf kath.net fand sich heute ein Hinweis auf, wie es dort hieß, verunglimpfende Äußerungen einer Erfurter Theologin, die sich mit dem rhetorischen Kniff des „das darf ja wohl gefragt werden“ ziemlich deutlich abschätzig über traditionelle Formen katholischer Frömmigkeit geäußert hat, die derzeit häufiger in den Medien wahrnehmbar sind, insbesondere im Zusammenhang mit der Eucharistie.
Die Äußerungen tätigte die Autorin in einem Blogbeitrag der Uni Erfurt (hier) – was dem „Wissenstransfer Theologie“ dienen soll – und sie sind, anders als kath.net suggeriert, nicht Ziel des Beitrags. Sie erwähnt das eher als negativ geladene Hintergrundfolie für ihre eigenen tollen Ideen. Dass „nicht wenige Katholik*innen“ über solche Äußerungen katholischer Frömmigkeit „ernsthaft verstört“ seien, wird indes eigens als eigenes Zitat in Groß hervorgehoben.
Das eigentliche Thema des Beitrags ist die Frage des Leids und des Umgangs mit der aktuellen weltweiten Krise. Da die Autorin den traditionellen Formen katholischer Frömmigkeit jede Legitimität (und Wirksamkeit) abspricht, wartet sie in bestem Pastoraldeutsch mit einigen ihrer Meinung nach zeitgemäßen Alternativen auf: „Abseits solcher Angebote (er-)finden Menschen derzeit kreativ und eigenständig neue Formen von Gebet und Solidarität“. Da also alles, was irgendwie nach „Institution“ riecht abgelehnt wird, muss jeder selbst gucken, wo er bleibt – kreativ eben… und ökumenisch, denn darauf kommt es jetzt an!
Interessant finde ich auch ihre Bemerkung, Christen würden nicht behaupten, dass das Leid einen Sinn habe. Christen, so heißt es in astrein vakuumierten pastoraldeutschen Worthülsen, stünden vielmehr „dafür ein, es in den größeren Horizont Gottes zu stellen.“ Soso. Wenig überraschend fehlt natürlich jeder Hinweis auf das Leiden Christi oder überhaupt auf Jesus… man gibt sich weltoffen und interreligiös, denn darauf kommt es jetzt an!
Zugleich wird es dann doch wieder institutionell, denn nun muss, nach dem Ausschluss jeder spezifisch christlichen Deutung des Leids, die Theologie ran: Sie „steht dafür ein, dass die Klage angesichts hunderttausendfacher Infektionen und zigtausender Toter, die isoliert und trostlos starben, nicht verstummt.“ So einfach erklärt man sich selbst für wichtig, oder, wie das aktuelle Modewort lautet: systemrelevant. Genau diese Wichtigtuerei führt dann dazu, wie es heißt, „kirchliches Leben kritisch zu begleiten“, und zwar in der Weise, wie es Theologen am liebsten tun, nämlich indem sie traditionelles Glaubensleben als falsch, unnütz und gefährlich erweisen (auf klug: „dekonstruieren“). [Siehe dazu hier.] Solch traditionelles Glaubensleben wird auch sogleich mit dem netten Wort „Retrokatholizismus“ recht eindeutig als rückständig gebrandmarkt. Die Autorin spricht sogar dumpf psychologisierend von „regressiven Mustern“ und bescheinigt diesen Äußerungen katholischer Frömmigkeit einen „fatalen [ließ: verhängnisvollen] Trost“.
Alles vergessend, was die Autorin selbst vor etwa einem Jahrzehnt in ihrer durchaus lesenswerten Habilitationsschrift über den Zusammenhang von lex orandi und lex credendi (Gesetz des Betens und Gesetz des Glaubens) erarbeitet hat, verfehlt sie das Wesentliche, das etwa am Beginn des Tagesgebets zu Fronleichnam wie folgt ausgedrückt ist: „Herr Jesus Christus, im wunderbaren Sakrament des Altares hast du uns das Gedächtnis deines Leidens und deiner Auferstehung hinterlassen.“
Die Eucharistie ist eben doch Quelle und Höhepunkt des Lebens der Kirche – auch in der Krise. In ihr feiern wir das Leidensgeheimnis Christi. Einen besseren Ort der Deutung des Leids und der Zuflucht zu Gott in diesem Leid gibt es nicht. Christus war der vorhergesagte „Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut“ und, in Coronazeiten besonders solidarisch gerade mit den Opfern: Er war der „vor dem man das Gesicht verhüllt“ (Jes 53,3). Bekanntlich ist der Isenheimer Altar ursprünglich für eine Spitalkirche geschaffen worden und der auf dem ersten Wandelbild dargestellte Gekreuzigte weist entsprechende Merkmale eines Pestkranken auf, mit dem sich die Kranken verbunden wissen konnten. Was auf dem Altarbild dargestellt ist, wurde unmittelbar davor auf dem Altar gefeiert. In diesen schwierigen Zeiten ist unser Zugang zu diesem Geheimnis erschwert, an die Stelle der leiblichen Teilnahme tritt nun die geistige, aber nicht weniger tröstliche Kommunion.
Sinnlos ist Leiden nur für den Gottlosen. In einem gemeinsamen Papier von DBK und EKD aus dem Jahr 1997 über Chancen und Risiken voraussagender Medizin (hier) heißt es: „Wir sind als Christen der Überzeugung: Wo immer jemand aus Glauben und menschlicher Redlichkeit zu solchem Geschick steht, realisiert er Möglichkeiten menschlicher Reifung. Christen, die ihr Heil Jesus Christus verdanken, der gelitten hat und am Kreuz gestorben ist, können Einschränkungen menschlicher Lebensmöglichkeiten paradoxerweise so wahrnehmen und leben, daß sie in ihnen einen Sinn und eine Lebensaufgabe finden. Leid und Schmerz sind konstitutive Bestandteile menschlicher Existenz; Behinderung bedeutet somit nicht Minderung der Menschenwürde. Christen erwarten Heil und Erlösung für diese Welt von Gott, auf den sie ihr Vertrauen setzen. Durch das Vertrauen auf ihn wird menschliches Handeln dazu befreit, nüchtern und abwägend zu urteilen, zugleich im Wissen um die Begrenztheit menschlicher Möglichkeiten.“
Das Traurige bei all dem ist, dass solche Äußerungen aus Theologenmund viel Schaden anrichten können und zu Verunsicherung führen (vgl. auch jene merkwürdigen Äußerungen einiger Liturgiewissenschaftler in der vergangenen Woche: HIER). Ich erlebe es bei mir selbst und vielen anderen, dass sie gerade in diesen traditionellen Formen Trost und Heil finden. Warum auch nicht? Immerhin ist gerade die Eucharistie, anders als alle noch so kreativ erfundenen Formen von Gemeinschaft, das echte und wahre Vermächtnis unseres Herrn Jesus Christus für uns. Paulus klärt uns im Ersten Brief an die Gemeinde in Korinth über den eucharistischen Kelch auf: Der „Kelch des Herrn“ (10,21) ist ein „Kelch des Bundes“ (11,25) und deshalb für uns „Kelch des Segens“ (10,16).
Wenn uns in dieser schweren Zeit etwas Segen und Heil bringt, dann sicher nicht „deinstitutionalisierte und überkonfessionelle“, „kreativ[e] und eigenständig[e] neue Formen“, die zutiefst hoffnungslos sind und mehr mit Esoterik und Selbsterlösung zu tun haben als mit echter Christusliebe, sondern der Herr selbst, der uns wahrhaft in der Eucharistie begegnet – auch wenn wir ihn nicht im Sakrament leiblich empfangen.
Man kann den pathetischen Slogan in der Mitte des Erfurter Blogbeitrags auch problemlos umdrehen: „Nicht wenige Katholik*innen sind ernsthaft verstört angesichts des Retromodernismus, der gerade fröhliche Urständ feiert.“
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