Mittwoch, 2. Oktober 2013

Der Papst und die Medien

Da die konservative Häme über den Papst angesichts seiner sich inzwischen reihenden Interviews gerade am tosen ist, will ich mich wiedermal (die Tage häufiger als sonst...) mit dem Papst befassen und kurz meinen Senf dazugeben.

Ich begrüße es außerordentlich, dass der Papst sich dieses Kanals zur Kommunikation bedient!
Es wird ja auf den Blogs fabuliert, zu Benedikts Zeiten hätte es noch Predigten und Katechesen gegeben, heute gäbe es nur noch Interviews. Wer die Augen aufmacht bemerkt freilich, dass auch Franziskus Woche für Woche Katechesen (z.Z. über das Glaubensbekenntnis) und fast täglich Predigten hält. Die mögen nicht das gleiche theologische Niveau haben wie die jenes größten Theologen unseres Säkulums, den als Papst zu haben wir gewürdigt waren, aber sie sind dennoch gehaltvoll und künden durchweg von Jesus Christus, der Mutter Kirche, von der christlichen Hoffnung und vom Einsatz für das Leben! Was wäre Wichtiger?

Bis ins 19. Jahrhundert bekam der Ottonormalkatholik vom Papst nicht viel mit. Mit dem Aufkommen der Zeitungen gab es vielleicht ein-zweimal im Jahr ein grau-staubiges Bild von ihm zu betrachten, das man sich dann ausschneiden und in die Sakristei oder in den Hergottswinkel hängen konnte. Die Päpste schrieben Enzykliken für die Bischöfe, mit denen sich dann die Theologen beschäftigen konnten. Wenn ein Papst alt wurde, merkte man das gegebenenfalls an jenem halbjährigen Bild in der Zeitung und einige Monate später vernahm man dann, dass der Papst verstorben sei. Seit es das Radio gibt, kam zu den semestrigen Bildchen noch die ein oder andere zweiversige Ansprache ans Ohr des Ottonormalkatholiken und er konnte sich freuen, dass ihm der Papst "frohe Weihnachten" wünschte.

Die Zeit ist heute eine andere. Wir leben in einer globalisierten Welt mit ebenso globaler Kommunikation. Alles ist durchdrungen und umgeben von Kommunikationswegen, alles was Ton und Bild zu leisten vermögen ist in sekundenschnelle und in HD um die ganze Welt verteilt.
Will die Kirche in dieser Welt eine Rolle spielen, muss sie sich ihrer Kommunikationswege bedienen, zumal eine Abschottung ganz einfach nicht möglich wäre. 

Wer ließt denn schon eine Enzyklika? Keine Sau.
Oder wer verfolgt die päpstlichen Gottesdienste und Gebetsveranstaltungen auf Youtube oder (seltener) im TV? Wohl nur ein Teil der Presse und eine fromme Elite.
Um zur breiten Masse der Menschen zu sprechen, sind Interviews das ideale Mittel und Franziskus ein Genie, dass er es zu nutzen weiß: In einem Interview kann gar nicht um den heißen Brei geredet werden, der Interviewer verlangt knackige Antworten und bald ist Redaktionsschluss. Man gibt auch nicht von sich, was man selbst gerade meint sagen zu müssen, sondern wird von einem "normalen Menschen", der idealerweise "am Puls der Zeit" fühlt, konkret gefragt. Das erreicht die Leute, das wollen und auch nur das können sie überhaupt aufnehmen und bedenken, in der Flut der täglich wallenden Informationen. Kurze knackige Antworten auf echte Fragen von echten Menschen. Große Texte, und seien sie auf Knien und nicht bloß am Schreibtisch entstanden, können das nicht leisten, von der sie unvermeidlich beherrschenden innerkirchlichen Sprache ganz zu schweigen.

Und ich finde es auch gut, dass sich die Medien nach wie vor in Euphorie üben und alles unbequeme ausblenden: Wenigstens werfen sie so nicht ständig mit Dreck und verunmöglichen jede Verkündigung. Dass man dem Papst so viele Vorschusslorbeeren schenkt und ihn hochjubelt, ermöglicht es ihm, Gehör zu finden! Oder wäre es uns etwa lieber, die Medien würden wie gehabt andauernd nur über Missbrauch, Untreue und Skandale berichten?

Der Papst (jeder Papst) hat der Welt einiges zu sagen. Benedikt nicht minder als Franziskus. Aber Benedikt ging mit den Medien nicht allzu klug um, wie mir scheint. Das ist keineswegs ein Vorwurf: Er stammte eben noch aus einer anderen Zeit, als die Medien noch nicht diese Omnipräsenz hatten. Jedenfalls schafften es die Medien ständig, alles Wichtige auszublenden und sich auf anstößige Marginalien und etwaige Skandälchen zu konzentrieren. Man dichtete Benedikt eine Besessenheit mit dem Thema Sexualität an, obwohl dieses ganze weite Feld realiter vielleicht in höchstens 2% seiner Äußerungen überhaupt nur irgendwie vorkam. Tatsächlich hat Benedikt das bereits ausgiebig getan, was Franziskus nun ausdrücklich von allen Katholiken fordert (s. hier): nicht ständig über diese ewig gleichen Aufregerthemen zu reden; was freilich die Relevanz und die Wahrheit der krichlichen Position diesbezüglich keineswegs relativiert.

Franziskus nutzt indes jede Gelegenheit, das zu sagen was Not tut und manchmal auch Sachen, die uns Mitteleuropäern vielleicht weniger wichtig/aktuell erscheinen (heimatliches Erbe?). Dass Vieles nicht gehört wird (und zwar von Rechts wie von Links), ist klar. Das ist unvermeidlich: Jeder hört nur, was er hören will. Obwohl Franziskus substantiell de facto nichts anderes sagt als Benedikt, schafft er es, "gefühlsmäßig" viel zu verändern. Dieses "Gefühl" ist weitaus wichtiger, als uns oft klar ist: Es ist der Grund, warum wir so selektiv wahrnehmen, und der Ursprung von Ungehorsamsaufrufen und dergleichen... der "gefühlte" Reformstau verursacht so viel Unbehagen! Wenn der Papst nun also auch nur das Gefühl erzeugen kann, der ebenso gefühlte Reformstau würde nun angegangen oder bereits gebrochen, ist schon viel gewonnen, denn es "ent-spannt" im wahrsten Sinne des Wortes die Stimmung, und gibt so den Blick frei auf das Wesentliche. Das tut der Kirche gut und es ist ohnehin notwednig.

Überhaupt ist Wahrnehmung in einer Welt der Medien viel wirkmächtiger und "relevanter" als Tatsachen: Wenn heute in den Medien kursiert, diese oder jene Bank stünde vor der Pleite, dann rennen Morgen alle hin um ihr Ged zu retten und dann ist Übermorgen diese Bank tatsächlich pleite, völlig egal, ob es ihr vor zwei Tagen noch prächtig ging. Wahrnehmung ist, medial gesehen, alles.  Zugleich fehlt es bei Franziskus aber durchaus nicht am Inhalt, bloß wird der massenmedial meist ohne den nötigen Verstehenskontext und ungeachtet der "Hierarchie der Wahrheiten", wovon der Papst ja auch selbst spricht, verbreitet. Die Chance, dass er dennoch gehört wird und sich Leute auch mal mehr als nur reißerische Überschriften zumuten, ist jedenfalls schonmal gegeben...

Auch die vielen Gesten des Papstes, die großen und die kleinen, sind ungemein wichtig. Actions speak louder than words. Was manchem als Show aufstößt und andere als "revolutionär" feiern, ist in Wirklichkeit etwas viel Banaleres: Es ist Ehrlichkeit und Natürlichkeit (und oft einfach Brauch, siehe die Prostratio am Karfreitag). Die "Medialisierung" ist unvermeidlich (s.o.) und es sollte uns freuen, dass diese Gesten wahrgenommen werden. Bei Benedikt hat man sie nicht wahrgenommen oder wahrnehmen wollen, das ist nicht mehr zu ändern. Aber sollten wir es deswegen missbilligen, wenn die gleichen Gesten und viele weitere nun endlich doch mal (positiv) wahrgenommen werden? Wir sollten uns darüber freuen! Aufklärung ("das macht jeder Priester am Karfrteitag") kann man später immernoch betreiben.

Wir Katholiken sollten uns überhaupt darüber freuen, dass der Papst so große Aufmerksamkeit genießt und diese zudem weitestgehend frei ist von künstlich erzeugter Empörung und Missgunst und nicht verdeckt ist von Kot und Klischees (man ist über alles "erstaunt" und "überrascht" was geschieht!). Natürlich wird auch diese starke Präsenz in den Medien nicht ewig anhalten, aber solange es währt, ist das durchaus zu begrüßen! Franziskus findet Gehör mit dem, was er sagt... vielleicht fragmentarisch und zuweilen ideologieverbrämt willentlich falsch (wenn sich etwa "WisiKi bestätigt fühlt), aber immerhin - pardon - kotzen und keifen sie nicht, wie anno dazumal unter Benedikt! Die Chance besteht also, wie gesagt, dass der Papst wirklich angehört wird. Ansonsten: Lasst doch die Leute jubeln, die ernsthaft glauben, der Papst, der einen australischen Priester exkommuniziert hat, weil dieser für das Frauenpriestertum und die Homo-Ehe votiert, werde demnächst Frauen zu Priesterinnen weihen und homosexuelle Ehen anerkennen. Sollen sie das ruhig glauben, wenn es sie ruhig stellt! Das Erwachen kommt früh genug.

Auf der anderen Seite des Spektrums finden wir die, die meinen, der Papst wäre dem Relativismus verfallen und die Kirche stünde nun wirklich hart am Abgrund, bloß weil der Papst mit etwas anderen Worten die kirchlich gelehrte Pflicht jedes Menschen, auf sein Gewissen zu hören, formuliert hat (zu tun, was er/sie als Gut erkennt!). Diese Leute seien darauf hingewisen, dass sich in diesen Interviews nicht das Lehramt der Kirche ausspricht... es sind bloß Interviews! Die genaue magisteriale Relevanz dieser Kommunikationsform muss wohl noch dezidiert eruiert werden (ein sehr guter Ansatz findet sich hier), aber ich bezweifle, dass es als allzu dramatisch einzustufen ist, wenn der Papst hie und da mal nicht formvollendet unmissverständlich formuliert. Ich kann damit leben. Zumal selbst dann Missverständnisse und auch ideologische Instrumentalisierungen nie ausgeschlossen werden können und im Ernstfall man immernoch einen "Geist" hineininterpretieren wird, mit dessen Hilfe sich (siehe Vat. II) aus allem alles herauslesen lässt, so abstrus es auch sei.

Interviews hat übrigens auch Benedikt XVI. einige gegeben, sei es in Flugzeugen, in Buchform oder mit Reportern im gepflegten Rahmen in Castel Gandolfo, und bei denen waren dann auch des Öfteren, wegen der ganannten unvermeidlichen selektiven Wahrnehmung oder aufgrund willkürlicher Falschinterpretationen gewisser Interessengruppen, nachträgliche Klarstellungen und Zurechtrückungen vonnöten. Das ist halt so... eine Eigenschaft der medialen Welt. Und die Kirche, als das Kuriosum das sie heute faktisch in der säkularen Welt darstellt, ist davon besonders betroffen. Im Grunde galt das aber schon immer: Man nenne mir ein kirchliches Dokument oder einen Akt der Verkündigung in irgendeiner Zeit der Geschichte, bei dem die "Welt" die "Kirche" auf Anhieb richtig verstanden hat. Das sind nunmal allzuoft Gegensätze, Spannungen und Konflikte können da nicht ausbleiben. Und so weit wie dann auchnoch die Welt in die Kirche eindringt (siehe ZdK, das ja trotz gegenteiliger Beteuerungen eine rein politische Veranstaltung zu sein scheint), so weit dringt auch dieser Konflikt in die sichtbaren Grenzen der Kirche ein.


Franziskus ist so katholisch wie jeder Papst. Er kommuniziert aber gezielter und alltagstauglicher nach "draußen" (missionarisch!) als sein Vorgänger, und genau das ist es, was wir heute in dieser "Medienwelt" brauchen, denn da leben die Menschen: im Alltag. Die Menschen leben nicht in der Theologenstube, wie es manche "Konservative" anscheinend glauben, für die jedes pontifikale Räuspern nicht formalistisch und dogmatisch einwandfrei genug sein kann! Sie konzentrieren sich nur auf das Äußerliche, nur auf die Form. Aber genau die Form ist es, die Franziskus radikal geändert hat; nicht der Inhalt!

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