Freitag, 14. Oktober 2022

Akrobatik mit dem Wort Gottes

Auf kath.ch war dieser Tage eine Story, die sehr schön illustriert, wie man das Wort Gottes auf geradezu akrobatische Weise verdrehen muss, um bestimmte Anliegen zu "stützen". Die Überschrift: "LGBTQ-Gottesdienst in Biel: Jesus ist Vorbild für queere Menschen" (hier).


Besonders krass fand ich bei dieser Gelegenheit das Motto des ganzen, das nämlich ein Bibelzitat ist, aus dem Evangelium vom vergangenen Sonntag (Lk 17,11-19): "Geht, zeigt euch!"(V. 14)

Im Kontext ist interessant: Die Kranken nähern sich Jesus in tiefster Ehrfurcht und Vorsicht, nicht nur, weil sie Aussätzige waren, sondern auch, weil sie offensichtlich Jesu Autorität und Vollmacht erkannten, sonst würden sie ja nicht gezielt an ihn herantreten: "Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!" (VV. 12-13)

Jesus tut scheinbar nichts weiter, als sie zu den Priestern zu schicken. Der Sinn ist ein mehrfacher: Eine Heilung von Aussatz musste laut dem Gesetz von den Priestern bestätigt werden, die Geheilten mussten ein Opfer zum Dank darbringen (Lev 14,1-32), und zugleich zeigte Jesus durch diese Aufforderung, dass er das Gesetz befolgt.

Der Evangelist, der uns diese Episode berichtet, hebt nun besonders auf den einen Geheilten ab, der zu Jesus zurückkehrt, und sich bedankt, der nämlich ein Samaritaner war, mit dem die Juden also nichts zu tun haben wollten, der den Juden - ob gesund oder krank - als Ausgestoßener galt.


Frage: Wie lässt sich das im Evangelium Berichtete mit einem LGBTQ-Gottesdienst unter dem Motto "Geht, zeigt euch!" vereinbaren?

Die Situation ist vertrackt, denn die Prämisse des Gottesdienstes ist ja gerade, dass queere Menschen angeblich (von der Kirche) "abgelehnt" werden, wie die Juden auch Samaritaner und Aussätzige, also erst recht aussätzige Samaritaner abgelehnt haben. Die Parallele ist sehr offensichtlich und böte sich an. Aber mit diesen Kranken/Geheilten sollen sich die Gottesdienstteilnehmer gerade NICHT identifizieren, denn eine "Heilung" darf ja für sie nicht in Frage kommen (aus dem Artikel: "Konversionstherapien können Menschen aus der LGBT-Communitiy unglaublich schaden"). Also, Problem: Die Evangelienperikope eignet sich eigentlich gar nicht für das, was der Gottesdienst "bringen" soll.

Wie schaffen es also die Veranstalter trotzdem, den Bibeltext nutzbar zu machen? Klar: Das Wort Gottes wird hier akrobatisch verdreht. Das "Geht, zeigt euch!" ist jetzt nicht mehr Jesu Antwort auf von schwerem Leid Befreite, die in tiefer Ehrfurcht den Herrn um Erbarmen (Heilung) angefleht haben, sondern es soll stattdessen besagen: "Seid stolz auf eure sexuelle Orientierung, versteckt euch nicht, zeigt euch den Menschen so, wie ihr seid; das Letzte, was ihr braucht, ist eine 'Heilung'!"

Wenn also nicht die Geheilten die Identifikationsfiguren für die Gottesdienstteilnehmer sind, wer dann? Im Titel des Beitrags auf kath.ch steht es schon: "Jesus ist Vorbild für queere Menschen".

In einer wahrlich kühnen Verdrehung des Bibeltextes wird nämlich der Ruf Jesu an die Aussätzigen/Geheilten umgedreht, und als eine Art Lebensmotto Jesu ausgegeben: "Er ist hinaus gegangen und hat sich gezeigt. Er hat gesagt, wer er ist und wofür er steht." (kath.ch)

Queere Menschen sind wie Jesus. Jesus ist wie die queeren Menschen.

Das hat natürlich mit dem Jesus, der uns in den Evangelien begegnet, nichts zu tun. Dieser Jesus in den Evangelien hat nicht sein Menschsein oder gar seine sexuelle Orientierung ins Rampenlicht gestellt und angepriesen, er hat keine ihm eigene, menschliche Agenda verkündet "für die er steht", sondern er verwies stets auf den Vater, von dem er kommt, und ohne den er nichts ist: "Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott." (Lk 18,19) Jesus sagt genau das Gegenteil von dem, was die Botschaft jenes Gottesdienstes sein sollte: "Wenn ich über mich selbst Zeugnis ablege, ist mein Zeugnis nicht wahr; ein anderer ist es, der über mich Zeugnis ablegt, und ich weiß: Das Zeugnis, das er über mich ablegt, ist wahr." (Joh 5,31-32) Und: "Denn ich habe nicht von mir aus gesprochen, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir aufgetragen, was ich sagen und reden soll." (Joh 12,49)


Diese Verdrehung von Jesu Selbstverständnis als ganz vom Vater kommend hin zu einem bornierten "Ich!" wird natürlich auch dadurch nicht besser, dass Jesu Verkündigung verglichen wird mit dem Stolz auf etwas, was die Bibel einhellig (AT und NT) als Gräuel, der vom Reich Gottes ausschließt, verurteilt (vgl. hier). Denn natürlich geht es nicht um die Menschen an sich, die die Kirche ja keineswegs ausschließt, sondern eben um das wofür sie "stehen", um das, was sie wollen: Anerkennung, ja sogar Wertschätzung ihrer ("queeren") Handlungen. Diese Anerkennung zu Fordern wird mit der Verkündigung Jesu verglichen!

Und natürlich geht es im Letzten wie immer um das Selbe: "Wir setzen uns für eine Kirche ein, die alle so akzeptiert, wie sie sind"... ob sie das auch über pädophile Priester und Völkermörder sagen würden, weiß ich nicht. Aber natürlich bleibt das alte Problem: So eine Kirche wäre nicht die Kirche Jesu, denn der hat an keiner Stelle zu irgendwem gesagt "Ich akzeptiere dich so, wie du bist"... Nein, Jesus hat stets zur Umkehr aufgerufen, zu einer Veränderung der Gesinnung, des Handelns, des Lebens. Auch wer scheinbar sündenlos lebte, weil er alle Gebote penibel befolgte, bekam von Jesus kein "Toll, bleib so!" zu hören, sondern: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen" (Mt 19,21).


Am Ende müssen wir uns wohl grundsätzlich die Frage stellen: Wenn ein Anliegen (egal was), das wir als Christen vertreten, eine solche Verdrehung und Verfälschung des Wortes Gottes und der darin bezeugten Identität Jesu erfordert, um es überhaupt noch irgendwie mit der Bibel zu "stützen", kann es dann richtig sein? Kann dieses Anliegen echt und wahr sein, dem Willen Gottes entsprechen?

Montag, 3. Oktober 2022

Das Fragen nach dem Zölibat

»Ist das heute im Klerus - unverhohlen oder im geheimen - umsichgreifende Verlangen nach der Ehe ein Zeichen des Glaubens, jenes Glaubens, der konkret und ernsthaft, als "Ärgernis" und in "Torheit" das wirkliche Leben an die Hoffnung des Glaubens wagt? Oder ist es ein Symptom der Glaubensschwäche, eines Glaubens, der auf jeden Fall denkt: "Was man hat, das hat man"? Ist es ein Glaube, den man zwar noch als ideologischen Überbau und Zusatz - und das aus Tradition - hinnimmt, der aber ja sich nicht anmaßen darf, das Leben selbst radikal umzubauen und von Grund auf zu revolutionieren, jenes Leben, so wie es auch ohne die Hoffnung des Glaubens sonst geführt wird?«


So fragte Karl Rahner 1967 (Der Zölibat des Weltpriesters im heutigen Gespräch. Ein offener Brief, in: Geist und Leben; wieder abgedruckt in "Knechte Christi"). Ich habe (wie Rahner damals) keinen Grund zu der Annahme, die Infragestellung des Zölibats geschähe aus einem tiefen Glauben heraus. Dort wo sie geschieht, ist der Bankrott des Glaubens und der Glaubenspraxis das stets gleichbleibende Charakteristikum. Später hat Rahner seine Meinung, wie in vielen Bereichen, geändert, aber 1967 war er noch emphatisch und klar: 

»Ich wünsche und erwarte nicht, daß die Kirche für unsere abendländischen Räume ihr "Zölibatsgesetz" ändert [...] ich hoffe, daß die Kirche den heiligen Mut behält, Priestern auch im Weltklerus den Zölibat zuzumuten.«


In den Diskussionen über die immer gleichen Themen "in Kirche" ist es wichtig, die eigene Wahrnehmung zu schulen. Ein wichtiger Punkt ist die Formulierung von Fragen: Wie wird der in Diskussion stehende Gegenstand befragt? Eine schöne Lektion dazu erteilte bereits vor bald 200 Jahren Johann Adam Möhler im Blick auf die auch damals schwelende Diskussion um die Abschaffung des Zölibats der katholischen Kleriker. Möhler (Vom Geist des Zölibats, Paderborn 1992, 76):

»Der allgemeinste und überall wiederkehrende Einwurf gegen den Zölibat der katholischen Priester wird aus ihm als einem Zwangsgebot abgeleitet, das die härteste Beschränkung der persönlichen Freiheit verhänge. Daher wird gewöhnlich die für unauflöslich gehaltene Frage gestellt: Wie kann sich die Kirche berechtigt glauben, so viele Männer, einen ganzen Stand zu zwingen, der Ehe zu entsagen? Göttliche und menschliche Rechte streiten gegen sie. Vor allem leugne ich [d.i. Möhler], daß die Frage die rechte Fassung hat und verlange, daß sie vielmehr in dieser Form aufgeworfen werde: Hat die Kirche das Recht, nur jenen die priesterliche Weihe zu erteilen, deren Geist mit der höchsten religiösen Weihe schon gesalbt ist, in denen sich die reinste und schönste Blüte gottseligen Lebens entfaltet, die ganz und ungeteilt dem Herrn leben, wie der Apostel sich ausdrückt, oder die, wenn wir es in einem Worte mit demselben Apostel bezeichnen wollen, die Gabe der Jungfräulichkeit erhalten haben?«


Die erste Frageform ist für Christen eigentlich unzulässig, weil sie losgelöst von dem gestellt ist, was Christen glauben: Kein Bezug zu Christus, zur Liturgie, zur Hoffnung auf das ewige Leben etc... nichts. Rein soziologisch, psychologisch, weltlich. Und das müsste eigentlich klar sein: Eine Anfrage an eine spezifische christliche Lebensweise ohne Bezug zum christlichen Glauben beantworten zu wollen/sollen, ist Unsinn.

Nein, die Frage ist nur aus dem Glauben zu beantworten, aber dafür muss sie erst einmal anders gestellt werden! Genau auf dieser Linie fragte Rahner (an selber Stelle, 1967): 

»Warum soll die lateinische Kirche nicht bloß jenen ihr Amtspriestertum geben dürfen, die ihr sagen, sie hätten diese Berufung zum Zölibat vernommen? [...] Warum sollte die Kirche also nicht auch in Zukunft Priester gerade aus denen wählen, die sich mit Gottes Gnade trotz ihrer Schwachheit, in der sich Gottes Gnade mächtig erweist, zum Zölibat entschließen und als solche die Weihe empfangen? Die bergende Kraft, aus der heraus der Zölibat gelebt werden kann und muß, und das "Motiv", das für die Kirche selbst für dieses "Gesetz" im Vordergrund steht, müssen nicht identisch sein, obwohl beides nicht getrennt werden darf. Und so meine ich: Die Kirche tut recht daran, wenn sie auch den Zölibat will, damit wir nicht zu Beamten eines rituellen Betriebs degenerieren, sondern durch unser Leben bezeugen, wovon wir reden und was wir kultisch verrichten.«


Die Art und Weise des Fragens offenbart also allzu oft schon, wo der Fragende steht (im Glauben oder außerhalb davon) und was er als Antwort hören möchte. Natürlich kann es sein, dass eine tendenziös klingende Frage auch einfach darauf zurückzuführen ist, dass der Fragende schlicht so uninformiert und unreflektiert in der Sache ist, dass er nicht weiß, wie er danach zu fragen hat. Allerdings haben wir heutzutage (?) das Problem, dass gerade die Uninformierten die lautesten Meinungen zu haben pflegen, also gibt es hier eine großflächige Überschneidung.

Ob die Frage nun bewusst tendenziös ist - also die Absicht des Fragenden offenlegend - oder auf Uninformiertheit beruht, die ernsthaft nach Antworten sucht, in beiden Fällen kann es hilfreich sein, aus der gläubigen Perspektive die Frage neu zu formulieren, denn andernfalls wird der Blick meist unüberwindbar verstellt. Wenn das Gegenüber darauf besteht, die Frage nach dem priesterlichen Zölibat unter Absehung vom christlichen Glauben zu beantworten, würde ich von einem Antwortversuch abraten und im Gegenzug darauf hinweisen, dass die priesterliche Berufung unter solcher Absehung nicht existiert, und sich die Frage darum erübrigt. Wie die Antwort, so muss auch die Frage im christlichen Kontext gestellt werden können, denn - wie so oft - losgelöst davon ist es "Torheit".


PS. In jenem Brief von 1967 formuliert Rahner auch eine herrlich klare, fast vulgäre Absage an den nach wie vor grassierenden, pseudo-wissenschaftlichen Umgang mit der Heiligen Schrift zur Unterfütterung selbst der schrägsten theologischen Ergüsse (Rahner selbst entging weitestgehend dieser Versuchung, weil er die Schrift in späteren Jahren einfach weiträumig ignorierte, sein "Grundkurs des Glaubens" etwa, kommt fast gänzlich ohne die Bibel aus): 

»Ihr jungen Leute ruft heute energisch nach der Schrift. Schön und gut. Es ist wunderbar, daß das Wort der Schrift Euch heute mehr gilt als ein Satz aus einem staubigen Schulbuch der Scholastiker, als die säuerliche Rede eines dürren und menschlich unterernährten Aszeten oder sogar mehr als eine päpstliche Enzyklika. Aber kann ich nicht mehr lesen oder können es manche junge Geistlichen nicht mehr? Im Neuen Testament ist der Verzicht auf die Ehe bezeugt als echte, hohe und heilige Möglichkeit des christlichen Daseins. Gewiß nur für solche, die es fassen können. Aber man muß es auch fassen wollen; es ist nicht für die Eunuchen gesagt, was da steht. Aber schon kommen die dreimal Gescheiten, die das kritische Instrumentarium der modernen Exegese handhaben zu können glauben: "Das ist zeitbedingt!" "Das ist Dualismus!" "Das hat der wirkliche Jesus selber nicht gesagt!" Man ruft nach "Formgeschichte" usf. und möchte die "Rejudaisierung" oder "Hellenisierung" Jesu ausmerzen. Solche Leute nehmen die Schrift nur dann ernst, wenn es ihnen paßt; andernfalls ist ihnen die Schrift wie eine Wachsnase, die sie nach jeder Richtung drehen können. Selbst wenn man einkalkuliert, daß auch in der Schrift in diesem Fall das eigentlich "Gemeinte" unter bestimmten Vorstellungsmodellen, in geschichtlich und soziologisch bedingten Situationen, unter nie ganz reflex verarbeiteten Voraussetzungen ergriffen wird, die nicht mehr einfach die unseren heute sind, - was beweist das gegen die Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen", die die Schrift eben doch "meint"? Selbst wenn ein gewisser "Dualismus" den latenten Hintergrund gebildet hätte, steckt nicht auch in ihm eine Menschheitserfahrung, die nur Oberflächliche billig ganz beiseite schieben? Ist das Gemeinte selbst von diesem "Dualismus" abhängig, weil dieser die Situation war, in der das Gemeinte (von dem ich noch schreiben muß) zuerst deutlich ergriffen werden konnte (aber eben um gehalten werden zu können)? Nein, es bleibt dabei: Die Schrift weiß als Gottes Wort mitten im Menschenwort, daß der Zölibat eine echte Möglichkeit des christlichen Daseinsvollzugs ist.«