Die Krankheit, um die es sich hier 
handelt, hat bereits der heilige Paulus vorausgesagt: »Denn es wird eine
 Zeit kommen, da man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach 
den eigenen Lüsten Lehrer beschafft, um sich das Ohr kitzeln zu lassen« 
(2 Tim 4,3). Keine Zeit scheint ganz davon verschont zu werden, in der 
unseren aber ist dieses Leiden wie eine Epidemie ausgebrochen. 
Auffällig ist, daß Paulus den Professoren eine Hauptrolle bei seiner 
Verbreitung zuweist. Es wird eine Zeit kommen, sagt er, da die Leute 
hinter einem Schwarm von Lehrern herlaufen, weil ihnen die Ohren jucken.
 Diese, wie es scheint, höchst ansteckende Krankheit hat ihren Herd bei 
Professoren und Experten. Das Ohrenjucken wird so allgemein verbreitet 
sein, daß man die Wahrheit nicht mehr wird hören können, sondern sich 
vielmehr den Fabeln zuwenden wird, den »Mythen«, wie Paulus sagt. Ja, da
 sind sie ja schon unsere lieben Mythen, die wir in so reichlichem Maße 
konsumieren. Gewiß, aber nicht die großen, verehrungswürdigen Mythen, 
die der Jugend der Menschheit angehören; unser Ohrenjucken hat es mit 
sterilen, von Professoren verfertigten Mythen zu tun, vor allem mit dem 
Mythos der Entmythologisierung. 
Mit Ohrfeigen kann man dieser Ohrenerkrankung nicht beikommen. Das wäre 
eine erbärmliche Medizin; denn dieser Schaden wird von Unterernährung 
und einem erheblichen Vitaminmangel hervorgerufen.
(Aus: Jacques Maritain, Der Bauer von der Garonne) 

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