Montag, 5. Mai 2014

Unsichtbare Sünde

Man wirft den Katholiken oft vor, sie würden mit ihrem "Beichtsakrament" den Menschen Schuldgefühle für ihr Tun, v.a. für ihr Sexleben eintrichtern.
Ich muss über diesen Vorwurf immer sehr schmunzeln, denn tatsächlich sind solcherlei Sünden die bei weitem "harmlosesten" Sünden, deren ausschweifende Besprechung durchaus unsinnig ist.

Wenn ich Unzucht treibe, indem ich z.B. mit einer verheirateten Frau schlafe (nicht, dass ich das täte, aber nur mal hypothetisch), dann ist bei meiner Gewissenserforschung im Vorfeld der Beichte die Tatsache meines Begehens einer Sünde überaus unproblematisch, schnell und zweifelsfrei erkennbar. Derartige "leibliche" Sünden sind eigentlich, vom theoretischen Standpunkt aus besehen, nicht der Rede Wert, sie sind geradezu harmlos, weil sie sehr klar und unzweifelhaft zu benennen sind. Sie haben eine benennbare Wirkung in der Welt, sie betreffen im wahrsten Sinne andere Menschen körperlich. Entweder ich begehe Unzucht oder nicht. Ich befinde mich darüber, immer vorausgesetzt, dass ich die Gebote kenne, nicht im Zweifel. Ob ich Unzucht begangen habe oder nicht, lässt sich leicht herausfinden. Ich kann mich auch nicht selbst betrügen, denn ich erinnere mich ja an die Tat, ich verkoste sie wohmöglich sogar noch lange Zeit danach. Und auch andere erinnern sich.

Nein, die wirklich gefährlichen Sünden sind die geistigen Sünden. 
Die tatsächlich schlimmen und auch echt zermürbenden Sünden sind unsichtbar. Und sie können von einer endlosen Menge von Faktoren verschleiert sein... es kann Wahrnehmungsstörungen geben, Fehlleistungen des Gedächtnisses, Schönreden, Wunschdenken, Verdrängen, Ablenkung... Natürlich kann vieles davon auch auf obige leibliche Sünden zutreffen, aber im geistigen Bereich wirken sich diese Anfälligkeiten sehr viel leichter und schneller aus, denn während in obigem Beispiel die Wirklichkeit nur so ist, wie sie nunmal gesetzt wurde (etwas Getanes kann nicht ungetan werden), kann sich mein Geisteszustand durchaus radikal verändern... ohne mein Zutun oder mit ihm.

Die geistigen Sünden behalten wir in ihrer Mehrheit gepflegt für uns, sie dringen nicht nach außen. Wir maskieren und verstecken sie gern. Auch vor unseren besten Freunden oder unserem Partner. Die leiblichen Sünden sind für andere Sichtbar, sie betreffen oft andere direkt. Sie können uns demnach auch von anderen immer wieder ins Bewusstsein gebracht werden (etwa von denen, die durch mein Handeln in Mitleidenschaft gezogen wurden). Die geistigen Sünden, die, die wir zumeist ganz für uns behalten, wie z.B. unsere Arroganz, unsere misanthropen Gedanken, unsere Gleichgültigkeit und Egozentrik, an die kann uns niemand erinnern, weil wir sie vor allen verbergen. Und unsere Fähigkeit zur Täuschung ist wohl bei niemandem jemals so effektiv, wie bei uns selbst: Wir können uns selbst für einfühlsam und menschlich halten und auch so anderen gegenüber auftreten, und in Wahrheit egozentrische Unmenschen sein.

Ich erlebe es häufig, dass beim Gespräch über das Thema "Beichte" der Schwerpunkt sehr auf den Tatsünden liegt und auch von Beichtvätern höre ich das oft, dass viele Pönitenten oft einfach aufzählen, was sie alles falsch gemacht haben. Aber das sind Peanuts. Die schlimmsten Heucheleien, die heimtückischsten Sünden, die gewieftesten Falschheiten und abgründigsten Bosheiten spielen sich in unserem Kopf ab. Hier ist Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit bei weitem am schwersten. Zu leicht ist hier der Selbstbetrug, zu anfällig sind wir hier, für die Verwirrungen durch all das, was uns von Gott fernhält.

Die sexuelle Sünde? Ach Gottchen... im Handumdrehen abgehakt! Aber der Stolz auf diese Sünde? Ihre achso plausible Rechtfertigung? Das Liebäugeln mit ihr?...

5 Kommentare:

  1. Ja, das ist richtig, unsichtbare Sünden, auch als Gedankenverbrechen bezeichnet, sind die, die die ecclesiogenen Neurosen verursachen. Eine Überlast an schlechtem Gewissen, weil man seine sündhaften Gedanken nicht los werden kann, die durch jede neue Beichte exponentiell vermehrt werden.

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    1. ehm... das ist es nicht, worauf ich hinaus wollte.
      Und dass solcherlei Gedanken "durch jede neue Beichte exponentiell vermehrt werden" stimmt einfach nicht. Die Beichte bewirkt eine Befreiung.

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  2. Früher hat man entsprechend disponierte Mitmenschen den Skrupulanten zugeordnet - auf diese mag das zutreffen (und sie sind in der Tat auf einen sehr aufmerksamen Beichtvater angewiesen), wobei man díe Methode pars pro toto nicht einfach anwenden kann, wenn man nicht nur Kontra geben will. Ansonsten halte ich Ihren etwas (mutmaßlich trolligen) Beitrag - Sie mögen es mir nachsehen - nicht für übermäßig zielführend, denn diese sogenannten "ekklesiogenen" Neurosen können und haben häufig eine nochmals tiefere Ursache jenseits der religiösen Biographie.

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  3. Die sexuelle Sünde? Ach Gottchen... im Handumdrehen abgehakt! Ist das nicht auch Stolz? Und die „Sexualsünde“ – Führt sie nicht oft zum Kindermord? Alles Peanuts?

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    1. Wenn Sie meinen Beitrag aufmerksam lesen, werden Sie feststellen, dass es nicht darum geht, Sexualsünden den Ernst abzusprechen, sondern darum, wie leicht es ist, sie im Prozess der Gewissenserforschung festzustellen bzw. als Sünde anzuerkennen (das meint das "abhaken"). Ganz im Unterschied zu den geistigen Sünden... und DAS ist das Thema des Beitrags!
      (Man beachtre etwa die Gänsefüßchen um das Wort harmlos im ersten Absatz...)

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