Zum heutigen Tag...
Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all'!
Zur Krippe her kommet in Bethlehems Stall.
Und seht, was in dieser hochheiligen Nacht
der Vater im Himmel für Freude uns macht.
O seht in der Krippe im nächtlichen Stall,
seht hier bei des Lichtleins hellglänzendem Strahl
in reinlichen Windeln das himmlische Kind,
viel schöner und holder, als Englein es sind.
Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh;
Maria und Joseph betrachten es froh.
Die redlichen Hirten knien betend davor,
hoch oben schwebt jubelnd der himmlische Chor.
O beugt wie die Hirten anbetend die Knie,
erhebet die Händlein und danket wie sie.
Stimmt freudig, ihr Kinder - wer sollt' sich nicht freu'n?
stimmt freudig zum Jubel der Engel mit ein!
Was geben wir Kinder, was schenken wir dir,
du bestes und liebstes der Kinder, dafür?
Nichts willst du von Schätzen und Reichtum der Welt,
ein Herz nur voll Demut allein dir gefällt.
"So nimm uns’re Herzen zum Opfer denn hin;
wir geben sie gerne mit fröhlichem Sinn;
und mache sie heilig und selig wie deins,
und mach’ sie auf ewig mit deinem in eins."
Im Hinblick v.a. auf die letzten beiden Strophen, nun noch Tagesgebet und Kommunionvers des heutigen Festes:
Vater im Himmel,
nicht mit Worten
haben die Unschuldigen Kinder dich gepriesen,
sie haben dich verherrlicht durch ihr Sterben.
Gib uns die Gnade,
dass wir in Worten und Taten
unseren Glauben an dich bekennen.
Darum bitten wir durch Jesus Christus.
Sie sind es, die aus den Menschen losgekauft wurden
als Weihegabe für Gott und das Lamm.
Sie folgen dem Lamm, wohin immer es geht.
»Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht unterlassen, aus meiner
früheren Jugend etwas nachzuholen, um anschaulich zu machen, wie die
großen Angelegenheiten der kirchlichen Religion mit Folge und
Zusammenhang behandelt werden müssen, wenn sie sich fruchtbar, wie man
von ihr erwartet, beweisen soll. Der protestantische Gottesdienst hat zu
wenig Fülle und Konsequenz, als daß er die Gemeine zusammenhalten
könnte; daher geschieht es leicht, daß Glieder sich von ihr absondern
und entweder kleine Gemeinen bilden oder, ohne kirchlichen Zusammenhang,
neben einander geruhig ihr bürgerliches Wesen treiben. So klagte man
schon vor geraumer Zeit, die Kirchgänger verminderten sich von Jahr zu
Jahr und in eben dem Verhältnis die Personen, welche den Genuß des
Nachtmahls verlangten. Was beides, besonders aber das letztere betrifft, liegt die Ursache sehr nah; doch wer wagt, sie auszusprechen? Wir wollen es versuchen.
In sittlichen und religiösen Dingen, eben so wohl als in
physischen und bürgerlichen, mag der Mensch nicht gern etwas aus dem
Stegreife tun: eine Folge, woraus Gewohnheit entspringt, ist ihm nötig;
das, was er lieben und leisten soll, kann er sich nicht einzeln, nicht
abgerissen denken, und um etwas gern zu wiederholen, muß es ihm nicht
fremd geworden sein. Fehlt es dem protestantischen Kultus im Ganzen an
Fülle, so untersuche man das Einzelne, und man wird finden: der
Protestant hat zu wenig Sakramente, ja er hat nur eins, bei dem
er sich tätig erweist, das Abendmahl; denn die Taufe sieht er nur an
anderen vollbringen, und es wird ihm nicht wohl dabei. Die Sakramente
sind das Höchste der Religion, das sinnliche Symbol einer
außerordentlichen göttlichen Gunst und Gnade. In dem Abendmahle sollen
die irdischen Lippen ein göttliches Wesen verkörpert empfangen und unter
der Form irdischer Nahrung einer himmlischen teilhaftig werden. Dieser
Sinn ist in allen christlichen Kirchen eben derselbe, es werde nun das
Sakrament mit mehr oder weniger Ergebung in das Geheimnis, mit mehr oder
weniger Akkommodation an das, was verständlich ist, genossen; immer
bleibt es eine heilige, große Handlung, welche sich in der Wirklichkeit
an die Stelle des Möglichen oder Unmöglichen, an die Stelle desjenigen
setzt, was der Mensch weder erlangen noch entbehren kann. Ein solches
Sakrament dürfte aber nicht allein stehen; kein Christ kann es mit
wahrer Freude, wozu es gegeben ist, genießen, wenn nicht der symbolische
oder sakramentliche Sinn in ihm genährt ist. Er muß gewohnt sein, die
innere Religion des Herzens und die der äußeren Kirche als vollkommen eins anzusehen,
als das große allgemeine Sakrament, das sich wieder in so viel andere
zergliedert und diesen Teilen seine Heiligkeit, Unzerstörlichkeit und
Ewigkeit mitteilt.
Hier reicht ein jugendliches Paar sich einander die Hände, nicht
zum vorübergehenden Gruß oder zum Tanze; der Priester spricht seinen
Segen darüber aus, und das Band ist unauflöslich. Es währt nicht lange,
so bringen diese Gatten ein Ebenbild an die Schwelle des Altars; es wird
mit heiligem Wasser gereinigt und der Kirche dergestalt einverleibt,
daß es diese Wohltat nur durch den ungeheuersten Abfall verscherzen
kann. Das Kind übt sich im Leben an den irdischen Dingen selbst heran,
in himmlischen muß es unterrichtet werden. Zeigt sich bei der Prüfung,
daß dies vollständig geschehen sei, so wird es nunmehr als wirklicher
Bürger, als wahrhafter und freiwilliger Bekenner in den Schoß der Kirche
aufgenommen, nicht ohne äußere Zeichen der Wichtigkeit dieser Handlung.
Nun ist er erst entschieden ein Christ, nun kennt er erst die Vorteile,
jedoch auch die Pflichten. Aber inzwischen ist ihm als Menschen manches
Wunderliche begegnet, durch Lehren und Strafen ist ihm aufgegangen, wie
bedenklich es mit seinem Innern aussehe, und immerfort wird noch von
Lehren und von Übertretungen die Rede sein; aber die Strafe soll nicht
mehr stattfinden. Hier ist ihm nun in der unendlichen Verworrenheit, in
die er sich bei dem Widerstreit natürlicher und religiöser Forderungen
verwickeln muß, ein herrliches Auskunftsmittel gegeben, seine Taten und
Untaten, seine Gebrechen und seine Zweifel einem würdigen, eigens dazu
bestellten Manne zu vertrauen, der ihn zu beruhigen, zu warnen, zu
stärken, durch gleichfalls symbolische Strafen zu züchtigen und ihn
zuletzt, durch ein völliges Auslöschen seiner Schuld, zu beseligen und
ihm rein und abgewaschen die Tafel seiner Menschheit
wieder zu übergeben weiß. So, durch mehrere sakramentliche Handlungen,
welche sich wieder; bei genauerer Ansicht, in sakramentliche kleinere
Züge verzweigen, vorbereitet und rein beruhigt, kniet er hin, die Hostie
zu empfangen; und daß ja das Geheimnis dieses hohen Akts noch
gesteigert werde, sieht er den Kelch nur in der Ferne: es ist kein
gemeines Essen und Trinken, was befriedigt, es ist eine Himmelsspeise,
die nach himmlischem Tranke durstig macht.
Jedoch glaube der Jüngling nicht, daß es damit abgetan sei;
selbst der Mann glaube es nicht! Denn wohl in irdischen Verhältnissen
gewöhnen wir uns zuletzt, auf uns selber zu stehen, und auch da wollen
nicht immer Kenntnisse, Verstand und Charakter hinreichen; in
himmlischen Dingen dagegen lernen wir nie aus. Das höhere Gefühl in uns,
das sich oft selbst nicht einmal recht zu Hause findet, wird noch
überdies von so viel Äußerem bedrängt, daß unser eignes Vermögen wohl
schwerlich alles darreicht, was zu Rat, Trost und Hilfe nötig wäre. Dazu
aber verordnet findet sich nun auch jenes Heilmittel für das ganze
Leben, und stets harrt ein einsichtiger, frommer Mann, um Irrende
zurecht zu weisen und Gequälte zu erledigen.
Und was nun durch das ganze Leben so erprobt worden, soll an der
Pforte des Todes alle seine Heilkräfte zehnfach tätig erweisen. Nach
einer von Jugend auf eingeleiteten, zutraulichen Gewohnheit nimmt der
Hinfällige jene symbolischen, deutsamen Versicherungen mit Inbrunst an,
und ihm wird da, wo jede irdische Garantie verschwindet, durch eine
himmlische für alle Ewigkeit ein seliges Dasein zugesichert. Er fühlt
sich entschieden überzeugt, daß weder ein feindseliges Element, noch ein
mißwollender Geist ihn hindern könne, sich mit einem verklärten Leibe
zu umgeben, um in unmittelbaren Verhältnissen zur Gottheit an den unermeßlichen Seligkeiten teilzunehmen, die von ihr ausfliegen.
Zum Schlusse werden sodann, damit der ganze Mensch geheiligt sei,
auch die Füße gesalbt und gesegnet. Sie sollen, selbst bei möglicher
Genesung, einen Widerwillen empfinden, diesen irdischen, harten,
undurchdringlichen Boden zu berühren. Ihnen soll eine wundersame
Schnellkraft mitgeteilt werden, wodurch sie den Erdschollen, der sie
bisher anzog, unter sich abstoßen. Und so ist durch einen glänzenden
Zirkel gleichwürdig heiliger Handlungen, deren Schönheit von uns nur
kurz angedeutet worden, Wiege und Grab, sie mögen zufällig noch so weit
aus einander gerückt liegen, in einem stetigen Kreise verbunden.
Aber alle diese geistigen Wunder entsprießen nicht, wie andere
Früchte, dem natürlichen Boden, da können sie weder gesäet noch
gepflanzt noch gepflegt werden. Aus einer anderen Region muß man sie
herüberflehen, welches nicht jedem, noch zu jeder Zeit gelingen würde.
Hier entgegnet uns nun das höchste dieser Symbole aus alter, frommer
Überlieferung. Wir hören, daß ein Mensch vor dem andern von oben
begünstigt, gesegnet und geheiligt werden könne. Damit aber dies ja
nicht als Naturgabe erscheine, so muß diese große, mit einer schweren
Pflicht verbundene Gunst von einem Berechtigten auf den anderen
übergetragen und das größte Gut, was ein Mensch erlangen kann, ohne daß
er jedoch dessen Besitz von sich selbst weder erringen noch ergreifen
könne, durch geistige Erbschaft auf Erden erhalten und verewigt werden.
Ja, in der Weihe des Priesters ist alles zusammengefaßt, was nötig ist,
um diejenigen heiligen Handlungen wirksam zu begehen, wodurch die Menge
begünstigt wird, ohne daß sie irgend eine andere Tätigkeit dabei nötig
hätte als die
des Glaubens und des unbedingten Zutrauens. Und so tritt der Priester in
der Reihe seiner Vorfahren und Nachfolger, in dem Kreise seiner
Mitgesalbten, den höchsten Segnenden darstellend, um so herrlicher auf,
als es nicht er ist, den wir verehren, sondern sein Amt, nicht sein
Wink, vor dem wir die Kniee beugen, sondern der Segen, den er erteilt,
und der um desto heiliger, unmittelbarer vom Himmel zu kommen scheint,
weil ihn das irdische Werkzeug nicht einmal durch sündhaftes, ja
lasterhaftes Wesen schwächen oder gar entkräften könnte.
Wie ist nicht dieser wahrhaft geistige Zusammenhang im
Protestantismus zersplittert, indem ein Teil gedachter Symbole für
apokryphisch und nur wenige für kanonisch erklärt werden! und wie will
man uns durch das Gleichgültige der einen zu der hohen Würde der anderen
vorbereiten?«
(aus: Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, Siebentes Buch)